NICHT NUR HOHLES VERSPRECHEN: ROT-GRÜN STARTET AGRARWENDE
: Currywurst wird öko

Wer meint, in dieser Bundesregierung fehle es an einer grünen Handschrift, wird sich wundern. Das Konzept zu einer „Agrarwende“ liest sich wie eine Zusammenstellung grüner Parteitagsbeschlüsse der letzten Jahrzehnte, ergänzt um die Forderungen der Ökobauernverbände. Das Papier stammt nicht aus einem grünen Thinktank, sondern aus dem Kanzleramt. Noch vor wenigen Monaten hätten die Grünen nicht gewagt, laut solche Forderungen zu stellen. Nun diktiert sie der Kanzler. So schnell kann Einsicht wachsen.

Bemerkenswert ist nicht nur, wer sich plötzlich als Anhänger der Ökolandwirtschaft outet und seine Currywurst im Bioladen kauft. Staunen lässt auch die Geschwindigkeit, mit der sich Rot-Grün unter dem Druck der Ereignisse auf ein Reformwerk einlässt, dessen Kosten und Ende nicht abzusehen sind. Immerhin waren Ökosteuer, Atomausstieg, Renten- und Steuerreform geplant, wurden taktisch verabredet und mit mehr oder weniger faulen Kompromissen beschlossen. Die Agrarpolitik hatte niemand auf der Agenda. Sie war eine Zeitbombe, die nun plötzlich mitten auf der Hauptbühne der Politik hochgegangen ist. Und dort wird sie die nächsten Jahre bleiben und – diesmal öffentlich – ihre Milliarden verschlingen.

Das Konzept der Agrarwende ähnelt den Beihilfen, die es für die Sektoren Kohle, Stahl oder Werften gegeben hat, als diese ehemaligen Schlüsselindustrien zum alten Eisen wurden. Der Unterschied ist nur, dass die Produkte der Landwirtschaft weiterhin nachgefragt werden, nur eben zu anderen Produktionsbedingungen. Mit sicherem politischem Instinkt hat die Regierung erkannt, dass die BSE-Krise auch ihre Chancen hat: Die Rückholung der Landwirtschaft unter das Primat der Politik.

Seit Jahrzehnten gelten die Bauern als heilige Kühe, die unantastbar sind, weil sie das Volk ernähren. In der Tat leben in Deutschland ja erst höchstens zwei Generationen, die Hunger nicht mehr am eigenen Leib erfahren haben. Doch spätestens mit der massiven Überproduktion, die seit 30 Jahren anhält, ist diese Sichtweise überholt. Wir essen zu viel, nicht zu wenig. Doch an die Pfründen der Landwirtschaft traute sich bisher niemand heran. So wurden Milliarden gezahlt und kein wirklicher Gegenwert dafür aufgetischt: Die Agrarausgaben nahmen absurde Formen an, ohne dass sich dies in steigender Qualität des Essens oder einer gesunden Umwelt niedergeschlagen hätte. Nun hat die Landwirtschaft endlich den Rang eines normalen Subventionsempfängers eingenommen: Bezahlt wird nur noch, was die Gesellschaft auch bestellt hat. Das klingt wie eine Binsenweisheit. In der Landwirtschaft ist es aber eine Revolution.

BERNHARD PÖTTER