Parteien unterm Pflug

Ein neues Gesetz könnte die Zahl politischer Parteien in Russland künftig auf einige wenige Gruppierungen reduzieren. Kritiker sehen dadurch die Verfassung verletzt

MOSKAU taz ■ Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich vorgenommen, die politischen Strukturen des strauchelnden Riesen nachhaltig zu verändern. Nach einem Jahr Amtszeit steht fest: kein leeres Versprechen. Putins Gestaltungswille ist enorm. Nachdem das Oberhaus bereits seine angestammte Rolle verlor und der Kreml den Zugriff auch auf die Regionen verstärkte, steht nun eine Flurbereinigung der Parteienlandschaft an.

Ein vom Kreml eingebrachter Gesetzentwurf soll im Interesse der Wähler die Übersichtlichkeit des Parteiensystems erleichtern. Neben dem Kremlentwurf liegen der Duma noch vier Alternativen vor. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sprechen dafür, dass der Vorschlag des Präsidenten das Rennen macht.

Als Partei kann sich demnach nur noch eine Organisation mit zehntausend Mitgliedern registrieren lassen, die in mehr als der Hälfte der 89 Regionen vertreten ist und dort mindestens 100 Mitglieder vorweisen kann. Der Entwurf unterscheidet nicht zwischen europäischen Landesteilen mit dichter und Gebieten Sibiriens mit dünner Besiedlung. Bürger in den abgelegenen Regionen hätten keine Möglichkeit mehr, in Parteien mitzuwirken.

Das unterhöhlt den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung, meinen Kritiker. Regionale Organisationen, die sich bisher um lokale Probleme gruppiert haben, hätten ebenfalls keine Chance mehr, ihren politischen Willen zu artikulieren. Sie wären gezwungen, sich größeren Parteien anzuschließen. Ob sie dort Gehör finden? Überzentralisierung und Konzentration des gesamten politischen Lebens in Moskau sprechen eher dagegen.

Der Status einer Partei bleibt auch Organisationen verwehrt, die sich auf Grundlage beruflicher, sozialer, rassischer, nationaler, religiöser oder geschlechtlicher Merkmale formieren. Im Klartext: Bauern und Agrarier haben kein Recht mehr auf eine spezifische parteipolitische Interessenvertretung. Die christlich-demokratische Partei und Arbeiterparteien müssten ebenfalls ihre Tore schließen. Schwierig wird es auch für die Umweltaktivisten der Ökopartei Kedr, die nicht landesweit vertreten ist.

Zahlreiche Ungereimtheiten stecken noch in dem Gesetzesentwurf, den die Zentrale Wahlkommission (ZIK) im Auftrag Putins vorbereitet hat. Juristen beunruhigt vor allem jener Paragraph, der „Strafe und Auflösung“ einer Partei vorsieht, die rechtlichen Voraussetzungen eines Verstoßes indes nicht klar definiert. Bürokratischer Willkür wären damit Tür und Tor geöffnet, fürchten Experten. Neben juristischen Einwänden sind es vor allem gesellschaftliche Langzeitfolgen, die die Implementierung eines solchen Gesetzes nach sich zöge. „Wird das Gesetz angenommen, verliert die Gesellschaft jede Chance, mit einer neuen Partei die politsche Arena zu betreten“, meint der Abgeordnete Wladimir Ryschkow. Die Entwicklung einer zivilen Gesellschaft zu fördern, wie es Putin stets betont, steht demnach nicht wirklich auf Moskaus Prioritätenliste .

Im Gegenteil: Ziel des Kremls scheint zu sein, das bisherige Parteiensystem und die Verteilung der Macht zu konservieren. Nur die Kremlpartei Edinstwo und die Kommunisten würden die neuen Kriterien erfüllen. Selbst die größte liberale Partei Jabloko wird sich nach Koalitionspartnern umsehen müssen.

Steckt hinter dem Vorhaben der Wille zur Ordnung oder Streben nach totaler Kontrolle? Die Meinungen gehen auseinander. Gleichwohl bestand keine dringende Notwendigkeit, ein Parteiengesetz zu verabschieden. Denn in der Präsidialdemokratie spielen Parteien als Transmissionsriemen und Instrumente der Willensbildung kaum eine Rolle. So wie es aussieht, soll sich daran auch auf keinen Fall etwas ändern. KLAUS-HELGE DONATH