Welcome Beliebigkeit

■ „Welcome Suicide“ eröffnet Reihe „Fertig ... Los - Diplom 2001“

„Hat er jetzt bestanden?“ fragt eine ältere Dame beim Schlussapplaus ihre Nachbarin. Die zuckt mit den Schultern. Ach, bestimmt. Mit der Uraufführung von Wel-come Suicide auf Kampnagel wird Falk Hocquél sein Regietheaterdiplom sicher in der Tasche haben. Ob das wirre Stück allerdings darü-ber hinaus Bestand haben wird, ist zweifelhaft. Immerhin sollte man Hocquéls Mut honorieren, sich mal nicht eines Klassikers zu bedienen.

Ein fünfköpfiges Autorenteam hat die Groteske um ein Selbstmordhotel in den Schweizer Alpen geschrieben: die vier Hamburger Poetry-Slam-Dichter Tracy Splinter, Hartmut Pospiech, Benjamin Maack, Friederike Trudzinski sowie der Berliner Gernot Grimm. Vielleicht haben zu viele Köche den Textbrei verdorben, vielleicht hat sich Falk Hocquél mit dem Projekt auch übernommen.

Der Anfang sieht noch viel versprechend aus. Da werden vier Menschen, die sich per Internet ins Suizidhotel eingecheckt haben, mit dem Schlepplift in die Empfangshalle gezogen – und bleiben erst mal ein paar Meter hoch in der Luft hängen. Kein Hotelpage weit und breit. Wie die vier aus eigener Kraft auf den Boden kommen, sagt viel darüber aus, wie sie leben – und sterben. Kate hangelt sich routiniert ab, Jacky lässt sich ein Stück zurückfahren und auf dem Colaautomaten absetzen, Lissie steigt auf die Schultern von Jacky, und Chris-tian springt als einziger hinunter. Er wird auch als einziger wirklich Selbstmord begehen.

Furioser Anfang, doch was danach kommt, enttäuscht. Kein Tiefgang, sondern eine oberflächlich-modische Mixtur mit viel technischem Aufwand aus Video, Musik und Internet. Es wird viel belangloses Zeug geplappert, ein Hotelangestellter referiert Selbstmordsta-tistiken, die vier Lebensmüden hopsen unmotiviert auf dem Sofa herum und surfen auf der Website des Hotels vom Cateringservice zu Bob, dem Hotelpagen, einem Atavar mit weiblicher Stimme, oder zur Rubrik „Letzte Worte“.

Warum sie sterben wollen, erfährt man so gut wie gar nicht. Dafür gibt es per Riesenbildschirm eingeblendete persönliche Statements zum Thema Selbstmord, die mehr packen als 90 Minuten lahme Fiktion. Nur ein Monolog geht wirklich unter die Haut. Lissy wählt, nachdem sie einsieht, dass Tablettennehmen total uncool ist, den Freitod durch Zerstückeln. Natürlich muss es schnell gehen, damit es nicht weh tut. Ihre Körperteile („erst den Po, dann die Füße, dann die viel zu dünnen Arme, dann den Hals, zum Schluss die Brüste“) will sie an Freunde verschicken – weil es ein Ganzes von ihr ja doch nie gegeben hat.

Karin Liebe

nur noch heute, 20.30 Uhr, Kampnagel k2