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■ Urdrüs wahre KolumneEine Generation beschissen

So um die hundert Menschlein trafen sich am Sonntag auf dem tiefverschneiten Waller Friedhof, um der gefallenen Kämpfer der Bremer Räterevolution zu gedenken und neben den üblichen Verdächtigen von VVN bis Buchtstraßenchor hatte sich auch der Wohnwagengenosse Konrad Kunick eingefunden und erfreute Endesunterzeichneten mit einer sozialistischen Vision, der es noch am letzten Feuer fehlte, die gleichwohl aber mehr Wärme enthielt, als die von einem Sozialdemokratischen Privatgelehrten der Ära XY (das war unleserlich, Anm. d. Red.) erwartet werden darf. Dafür gibt es im Halbzeitzeugnis die Kopfnote: „Konrad hat sich für den Klassengeist eingesetzt. Weiter so!“

Der Mega-Jackpot von 20 Millionen beim Mittwochslotto beflügelte die Phantasie zweier Monteure beim Ausfüllen ihrer Scheine in einer Waller Wettannahme derart, dass sie schon über konkrete Anlagestrategien nachdachten. Zugleich versicherten sie sich wechselseitig, im Falle des Gewinns, dem anderen eine Million zukommen zu lassen. Als sie dieses Versprechen auch noch mit Handschlag besiegeln wollten, zögerte der eine dann doch: „Mit soviel Geld verändert man sich ja auch, ich glaube, das können wir vergessen, am Ende hält sich doch keiner dran.“ Kann man die Risiken psychisch-moralischer Verelendung in entfremdeter Wirklichkeit genauer auf den Punkt bringen?

Ob Klaus Peter Schulenberg tatsächlich der schlimmste Finger dieser Stadt ist oder in der Shitparade nicht doch noch ernsthafte Konkurrenten für Platz 1 hat, möge von mir aus DER TED entscheiden, aber bitte nicht das KPS-Callcenter. Sehr schön aber fände ich es, wenn der einstige Schlagersänger-Agent in Wahrnehmung seines künftigen Jobs als Konkursverwalter von VEB Mjusical Bremen in der Hippie-Schmonzette Hair persönlich über die Bühne hoppeln würde, im Paisley-Hemd mit Blume im Haar und um die Hüften von mir aus Bananen. Denn dann regiert die Erde der Wassermann, und für die Nummer zahle ich dann gerne das volle Eintrittsgeld, auch und erst recht, wenn ich der einzige wäre, der das täte.

Gern hätte ich den aufmerksamen LeserInnen dieser Zeilen mitgeteilt, was sich in Sachen „Gartenwohnkultur“ und Parzellenraub beim „Runden Tisch“ im Landheim Walle getan hat, aber ein anämisches Bürschlein im teuren Zwirn des gehobenen Beamten-Arsches erläuterte die von ihm selbst formulierten Spielregeln für die Diskussion mit einer derartig nölenden Arroganz und Penetranz, dass ich den Raum im Sinne des emotionalen Selbstschutzes verließ – obwohl sein Wunsch nach Ausschluss der Presse ansonsten eher meinen festen Willen zum Bleiben ermuntert hätte. Aber in meinem Honorar ist nun mal kein wirksames Mittel gegen aufkommenden Brechreiz enthalten. Die Kraft der Gartenheimer und Siedler aber, sie wird auch solche Spätkonfirmanden im öffentlichen Dienst überwinden. „Dem Wil-helm Kaisen haben wir's geschworen/der Pippi Lang-strumpf reichen wir die Hand ...“

In liebenswerter Klarheit appellierte Grünen-Veteran Peter Willers jetzt an das hiesige Milieu, trotz aller taktischer Winkelzüge der Parteispitze doch nach Gorleben zu trecken und die Castortransporte da und dort zu blockieren. Einverstanden, na klar. Aber nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch aus „rein menschlichen“, bitte sehr. Wenn die alten Zausel irgendwo nach durchzechter Nacht im Morgengrauen schwärmen von Springer-Blockade, Brokdorf und den aufregenden Stunden mit dem Seitenschneider am Bauzaun: Soll da eine ganze Generation um ihren Heroismus beschissen werden und nur noch lallen können „Tja, und wir ham damals Loveparade gemacht und den Konsens beschlossen ...“?

Elf Jahre Superdeutschland will der geschätzte Säulenheilige Herrman Gremliza am kommenden Mittwoch im „Paradox“ an der Bernhardstraße abhandeln und damit anschließend ordentlich Pogo gegen den Jung-Unionisten Claus Rohmeyer und andere Schlipse getanzt werden kann, beginnt die Veranstaltung schon um 19 Uhr. Kommen sollte man noch früher, denn die in den Räumen gezeigte Ausstellung „Deportation Class“ gegen die Abschiebungsgeschäfte von Lufthansa & Co ist nicht nur sehenswert, sondern auch geeignet, als Alternative zum Urlaubsflug die gemütliche Brauereitour durch die Fränkische Schweiz oder das Flache-Steinchen-Ins-Wasser-Werfen auf der Insel Poel zu wählen. Was der Welt ja auch schon mal dienlich wäre, meint jedenfalls

Ulrich „Reulos“ Reineking

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