TV und die Hölle auf Erden

■ One-Man-Shows, Talk-Shows, Reality-Shows sorgen für eine extreme Verblödung, glaubt Andrej Woron. Der polnische Regisseur inszeniert jetzt Brecht/Weills „Mahagonny“

Nach der opulenten „Dreigroschenoper“ von Kurt Weill, nach Verdis „Otello“, Bertolt Brechts „Baal“ und Peter Weiss' „Marat“ inszeniert der Pole Andrej Woron mit „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sein sechstes Stück am Bremer Theater. Worons persönliche Handschrift ist die Mischung aus gesellschaftlichem Engagement und geradezu berstender Lust am Theatermachen. Wir trafen den Regisseur anlässlich der Proben zu „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Kurt Weills nach einem Libretto von Brecht komponierte Oper, die bei ihrer Urauffühung 1930 in Leipzig einen der größten Skandale der Operngeschichte ausgelöst hat, handelt von einer fiktiven Stadt in Nordamerika. Die Gründer dieser „Paradiesstadt“, Leokadja Begbick, Dreieinigkeitsmoses und Fatty, wollen vorbeiziehenden Goldsuchern mit Mädchen und Gin das Geld aus der Tasche ziehen. Die Stadt wächst und kollabiert an den selbstzerstörerischen Mechanismen der kapitalistischen Warengesellschaft.

taz: Herr Woron, „Sittenbilder unserer Zeit“ hat Kurt Weill sein Werk genannt. Geschrieben in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, des heraufziehenden Nazismus, die bei den Menshen nach einer Phase des Konsumrauschs Untergangsprophetie, Endzeitgefühle, aber auch Resignation zur Folge hatten: Was bedeutet das heute für Sie, für uns?

Andrej Woron: Was mich interessiert, ist der Mensch. Ganz grob und ganz pathetisch, angesichts seiner extremen Verblödung durch die Kraft und die Macht der medialen Welt. Schmutzige One-Man-Shows, Talk-Shows, Reality – er muss sich mit einem ungeheuren Konsum auseinandersetzen und gerät in extreme Abhängigkeit. Ich komme aus einem Land, in dem das Fernsehen einen Anspruch hatte. Natürlich war es Erziehung und Ideologie, was ich nicht verteidige, aber wir haben auch einen romantischen Geist mitbekommen, eine Neugier für das Wissen. Die privaten Fernsehen zerstören komplett die Persönlichkeit, es ist eine Riesenlüge. Da setze ich auch für Mahagonny an: Am Ende regiert ein Anarchismus, ein Ungeheuer ist geboren. Brecht versucht ja, das Böse vom Guten zu unterscheiden. Es gibt keinen Gott, denn wir haben die Hölle auf Erden, ich folge seinem Schrei nach humanen Parolen – existiert noch eine Moral, noch Humanität, ist überhaupt noch Zeit? Das politisch-soziale Problem ist heute derartig komplex, dass die meisten nicht mehr durchblicken.

Weill selbst hat auch schon die Vermeidung eines typisch amerikanischen Milieus verlangt. Wo siedeln Sie das Stück an?

Hier. Heute. Es gibt einfache Straßenhuren für die deutschen LKW-Fahrer. Die Amerikanismen sind eher exotisch, wie der Mond von Alabama. Es ist nicht der Mond von Krefeld.

Ist der ästhetische Konflikt zwischen Weill und Brecht – sie trennten sich ja nach Mahagonny – heute noch nachvollziehbar? Was bedeutet die Priorität der Musik, auf der Weill bestand, oder die des Wortes, auf der Brecht bestand, für Ihre Inszenierung? Wollte Weill die Kunstgattung Oper mit ihren eigenen Mitteln umfunktionieren?

In gewissem Sinne ja. Wir spielen durchgehendes Musiktheater, und wir machen das opernhaft. Es geht um den Spaß und die Unterhaltung eines guten Kabaretts, wenn daraus Gedanken und Signale entstehen, reicht es. In der Musik gibt es ja auch ganz viel Ironie, sie verwendet Zitate. Auf jeden Fall war Weill dankbar für die literarische Fabel, in der es Brecht um Kapitalismus, Geld und Freiheit geht. Allerdings arbeiten wir nicht mit dem Fingerzeig. Diese Oper ist immer aktuell, das ist absolut genial. Ich komme aus einer Welt, in der Geld keine Rolle spielt, wir waren für die Kunst, die die Romantik des Kreierens.

Die Stimme von Lotte Lenya gilt ja als fast identisch mit der Musik von Kurt Weill. Haben Sie sich damit beschäftigt, was hat das für Sie für eine Bedeutung? Singender Schauspieler oder schauspielender Sänger: eine Alternative? Die Uraufführung 1930 haben ja OpernsängerInnen gesungen.

Ganz so stimmt das nicht: Lotte Lenya hat Weill eine Oktave tiefer gesungen als er es notiert hat, bei uns wird die originale Höhe gesungen. Also wir machen ganz klar Oper. Übrigens kriegt man auch die Rechte für eine Aufführung mit Schauspielern gar nicht.

Herr Woron, mit Otello haben Sie in Bremen Ihre erste Oper inszeniert; Sie sagten damals, dass es noch absolutes Neuland für Sie sei. Wie ist das jetzt?

Inzwischen habe ich die Oper lieb gewonnen. Zum Beispiel der Männerchor in Mahagonny, eine Gruppe von Helden. Diese Gattung, ihre Künstlichkeit, das verzaubert mich immer mehr.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Premiere am Samstag, 10.2., 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz