Resignierte Selbstermächtigungen

Vietnam ratlos: Nach Jahren des sozialistischen Propagandafilms, der den Krieg als großen Sieg des Volkes feierte, zeigt eine neue Generation von Regisseuren eine unpathetische Auseinandersetzung mit dem Trauma. Im Zentrum stehen die Frauen

von ANDREAS BUSCHE

Das klassische sozialistische Kino kennt das tragische Einzelschicksal nur, wenn es gleichzeitig zum überlebensgroßen Heldenmythos taugt. Auch im vietnamesischen Kino – über das in Deutschland (abgesehen von einigen wenigen, nicht repräsentativen Autorenfilmen wie „Cyclo“ oder „Der Duft der Grünen Papaya“) kaum Informationen, geschweige denn sichtbares Material existiert - war der Propagandafilm seit dem Ende des Vietnamkrieges 1975 das wichtigste Produkt der staatlich kontrollierten Filmindustrie.

Während die USA mit Rambo, Chuck Norris & Co den Krieg noch im Nachhinein gewannen und Antikriegsfilme wie „The Deer Hunter“ oder „Apocalypse Now“ sich auf eher allgemein-existenzialistische Reflexionen beschränkten, feierte der vietnamesische Propagandafilm den Krieg als großen antiimperialistischen Sieg des Volkes. Das Leid der Bevölkerung, die seelischen und körperlichen Verstümmelungen und die folgenschwere Verwüstung des gesamten Landes wurden dabei von den Filmemachern jedoch konsequent ausgeblendet. So verschwand das vietnamesische Kino in den letzten zwei Jahrzehnten mehr oder weniger aus dem Interessenfeld der westlichen Kulturnationen.

In den letzten zwei bis drei Jahren zeichnete sich jedoch ein Wandel in der vietnamesischen Kinoindustrie ab. Nach einem zwischenzeitlichen Hoch von jährlich weit über 20 Filmen gegen Ende der Achtziger ist die Industrie heute auf ganze vier Filme pro Jahr geschrumpft; gleichzeitig aber waren die inhaltlichen Vorgaben noch nie so gelockert wie seit den späten Neunzigern. Was den Filmemachern eine neue Auseinandersetzung mit dem Kriegstrauma ermöglichte. Alle acht Filme, die das Repertoire des diesjährigen Filmlandthemas „Vietnam“ umfasst, beschäftigen sich direkt oder indirekt mit den Folgen des Vietnamkrieges in einer gänzlich unpathetischen Art und Weise.

Die etwas überraschende Monothematik des Programms ist jedoch nicht etwa Folge einer bewussten Selektion, sondern tatsächlich ein repräsentativer Querschnitt durch das zeitgenössische vietnamesische Kino. Vor allem die schwierige Rolle der Frau während und nach dem Krieg ist zentrales Thema vieler dieser Beiträge. Beschränkt sich ihre Darstellung im Propagandafilm vor allem auf die der Mutter und mentalen Stütze der Familie inmitten des revolutionären Kampfes, bereitet Regisseur Luu Trong Ninh in gleich zwei Filmen dieser Form der mythischen Überhöhung ein Ende.

Schon in seinem 97er-Doku-Spielfilm „Nga Ba Dong Loc“ („Kreuzung Dong Loc“), der realen Geschichte einer weiblichen Jugendsturmeinheit, die während des Krieges dazu abkommandiert wurde, scharfe Bomben auf den Schlachtfeldern zur Detonation zu bringen, nimmt er den Kamikaze-Aktionen jedes heroische Pathos. Er schildert den mürben Alltag im Camp, entlarvt den heldenhaften Kampf als routinierte Arbeit und zeigt die Mädchen nicht als antiimperialistische Frauenbrigade, sondern als die jungen Dinger, die sie sind. Ihe Mädchenhaftigkeit bekommt etwas Hoffnungsvoll-Anrührendes, wenn sie sich während eines amerikanischen Angriffs in den tiefen Bombenkratern verstecken und schließlich Hand in Hand aus dem Rauch hervorkriechen. Ninhs rohe Montage und der ungeschönte Realismus der Bilder verschaffen dem Film zudem eine Unmittelbarkeit die an die frühen Novelle-Vague-Filme erinnert.

In seinem aktuellen Film, dem beeindruckenden „Ben Khong Chong“ („Das Ufer der Frauen ohne Männer“), wird das Dilemma von zwei vietnamesischen Frauengenerationen offenkundig: Zwei lange Kriege haben ihnen ihre Männer und ihre Söhne genommen, und ihr verbissenes, trotziges und trotzdem resigniertes Ringen in dieser männerlosen Welt gehört zu den ergreifendsten Selbstermächtigungskämpfen, die man in den letzten Jahren im Kino sehen konnte.

Der Soldat Van kehrt 1954 nach dem Indochinakrieg als einziger Mann in sein Heimatdorf zurück. Die Männer der dort lebenden Frauen sind alle im Krieg gefallen, wie auch ihre Söhne zehn Jahre später von den Bomben der Amerikaner getötet wurden. 20 Jahre lang bleibt Van der einzige gesunde Mann in seinem Dorf und muss Tag für Tag mit ansehen, wie die Frauen in ihrer grausamen Einsamkeit weiter funktionieren.

Die Ratlosigkeit im heutigen Vietnam, insbesondere in den immer noch rückständigen Provinzen, und die schleichende Erkenntnis der Sinnlosigkeit ihres Opfers zeigt sich vielleicht am nachhaltigsten in einer einfachen Frage, die in der Kurz-Doku „Tro Lai Ngu Thuy“ („Rückkehr nach Ngu Thuy“) die Kriegsveteranin eines kleinen Fischerdorfs an Regisseur Le Manh Thich richtet: „Warum sind wir nach 30 Jahren denn immer noch arm?“ Der abrupte Schnitt Thichs noch im Atemzug der Frage ist der rhetorische Trick, der die Unmöglichkeit der Antwort manifestiert.