„Der Vietnamkrieg ist eine Langzeitbombe“

Das Kino aus Vietnam ist der Länderschwerpunkt des Forums. Regisseur Luu Trong Ninh und Kameramann Nguyen Duc Nhiem im Gespräch über das Tabuthema Krieg, die kommunistische Umgestaltung, Deserteure, die Lockerung der Zensur und das Drehen mit scharfer Munition

Die erste Gruppe vietnamesischer Filmemacher ist gestern in Berlin eingetroffen und steht prompt im Mittelpunkt des Interesses. Schon lange hat keine Länderreihe im Forum so viel Aufmerksamkeit erregt – vielleicht weil man den Filmen anmerkt, dass sie von einer Zeit des Umbruchs berichten. Vietnam feiert nicht mehr den Sieg, zeigt stattdessen wie die Bevölkerung noch unter dessen Folgen leidet. Achselzuckend verweist Nguyen Duc Nhiem, der Kameramann von „Vao nam Ra Bac“ während des Interviews auf seine Narbe an der Stirn. Da er im Zuge der sozialistischen Bruderschaft an der Konrad-Wolf-Hochschule in Babelsberg studiert hat, ist es nicht seine erste Reise nach Deutschland. Zum Interview bestellten sich Nguyen und sein jüngere Kollege Luu Trong Ninh, der gleich zwei Filme im Koffer hat, nach dem 16-stündigen Flug erst mal ein Weizenbier.

taz: Herr Ninh, Sie haben zwei Filme im Forum, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In „Nga Ba Dong Loc – In den Süden und zurück“ geht es um ein Frauenbataillon im Vietnamkrieg, das Sie durchaus hochleben lassen. Ihr neuer Film „Ben Khong Chong – Das Ufer der Frauen ohne Männer“ hingegen ist viel persönlicher gehalten . ..

Luu Trong Ninh: Der erste war eine Auftragsarbeit, während mein neuer Film schon ein politisches Anliegen hat. Ich wollte von einer Zeit erzählen, die bis jetzt ein Tabuthema war. Es geht um die kommunistische Umgestaltung, die man schon mit der chinesischen Kulturrevolution vergleichen kann. Durch die Landreformen sind viele dörfliche Gemeinschaften zerbrochen. Auch viele Traditionen und Bräuche wurden verschüttet, und an die wollte ich erinnern.

Apropos Tabuthema, Herr Duc Nhiem, in dem Film „Vao Nam Ra Bac“, bei dem Sie Kameramann waren, geht es um einen Deserteur, sicher auch eine Neuheit im vietnamesischen Kino . . .

Nguyen Duc Nhiem: Der Regisseur und ich sind zusammen im Krieg gewesen. Und um ehrlich zu sein, wir sind tatsächlich als Soldaten immer mal wieder abgehauen. Ein Großteil des Films besteht aus unseren eigenen Erinnerungen.

Wie erklären Sie sich, dass plötzlich ganz andere Geschichten über den Vietnamkrieg entstehen. Es geht nicht mehr darum, Denkmäler für Helden zu errichten, sondern die Nachwirkungen des Krieges zu zeigen.

Ninh: Der Vietnamkrieg ist eine Langzeitbombe, die jetzt gerade explodiert. Die ideologisch ausgerichtete Filmbranche scheint sich immer mehr zu öffnen, man kann schon von einer Art Perestroika sprechen . . .

Nhiem: . . . man ist uns gegenüber auch vertrauensvoller, die stalinistischen Funktionäre fordern uns sogar zur Kritik auf, aber sie wollen wirkliche Kritik und nicht bloß Angriffe. Auch bei der Bevölkerung gibt es ein großes Bedürfnis nach anderen Geschichten, wir haben ihre Unterstützung. Man will nicht mehr nur Schmuddelware aus Hongkong auf Video sehen.

Ninh: Aber trotz der neuen Offenheit werden uns noch Beschränkungen auferlegt. Mein neuer Film „Ben Khong Chong“ wurde nicht so, wie ich ihn eigentlich wollte. Es gab durchaus noch ideologische und inhaltliche Vorgaben. Ich hätte gern noch mehr den Akzent auf die Zeit der kommunistischen Machtergreifung gelegt.

Nhiem: Auch wir mussten einige Szenen kürzen, damit niemand etwas in den falschen Hals bekommt. In Vietnam gibt es ein sehr bekanntes Soldatenlied, das wir ironisiert haben, indem wir es in einem Tanzlokal laufen ließen. Diese Szene mussten wir dann kürzen – damit das heilige Lied nicht entehrt wird. Aber ich denke, dass man den Seitenhieb trotzdem noch versteht.

Es fällt auf, dass die meisten Filme des Länderschwerpunkts Vietnam aus der Perspektive von Frauen erzählt werden . . .

Ninh: Ich glaube, dass man immer mehr kapiert, dass der Krieg nicht nur auf den Rücken der Soldaten ausgetragen wurde, sondern auf dem der Frauen. Ihre Rolle wurde immer heruntergespielt. Und sie müssen immer noch die Stellung halten. Der krumme Rücken der Frauen – mit diesem Anblick bin ich groß geworden.

In einem anderen Forumsfilm, der Dokumentation „Tro Lai Ngu Thuy – Rückkehr nach Ngu Thuy“ glaubt eine ältere Fischersfrau, dass die Sowjetunion immer noch existiert. Ist diese Weltfremdheit typisch?

Nhiem: So was ist keine Besonderheit. Unser Land ist in Sachen Information nicht sehr entwickelt, gerade in den ländlichen abgelegenen Gegenden lebt man noch in einer anderen Zeit. Die Kluft zwischen Land und Stadt wird in Vietnam ohnehin immer größer.

Ich habe in einem Vorbericht gelesen, dass die Action-Szenen in Vietnam mit echter, aus dem Krieg übrig gebliebener Munition gedreht werden. Stimmt das?

Ninh: In unserem Kino gibt es keine Tricks und kein Geld, deshalb müssen wir alles mit scharfer Munition drehen. Das ist natürlich sehr gefährlich. Aber dafür sieht alles sehr realistisch aus, weil wir es nicht wie die in Hollywood übertreiben können. Und die sind auch ein bisschen eifersüchtig, denn ein echter Raketenschweif macht schon etwas her.

Nhiem: Es ist schon nicht ohne, wenn drei Meter vor der Kamera eine Granate hochgeht und die Crew die ganzen Scherben abbekommt. Bei uns müssen auch die Schauspieler die Stunts machen. Üben und los lautet die Devise.

INTERVIEW: ANKE LEWEKE