kuhlbrodt berichtet
: Heiliger Hangover! Der Kriegsfilm bringt’s nicht

Auf Gefühlsmontage

Beim Reinkommen sah der Berlinale-Empfang aus wie ein Katerfrühstück. Im Interconti blickte den hungrigen Gästen zwischen den leckeren Pasti und Antipasti ein bedripster de Hadeln wehmütig von der Fotogarnitur ins Gesicht. Das hätte betroffen machen können, wenn man nicht vom ersten Film seiner Abschiedsreihe „Moritz’ Favourites“ ein angenehm warmes Gefühl in den Bauch bekommen hätte. „Central do Brasil“, das Roadmovie mit dem tapferen kleinen Jungen und der angeknacksten Exlehrerin, war für mich der Eröffnungsfilm der Festspiele.

Gut war auch, dass ich mit den besagten Gefühlen Knut Hoffmeister wiedertraf, dem ich zuletzt – und das sind die frühen Achtzigerjahre – durch hoch dosierte Gaben von Popperschnüffelzeugs einen Auftritt seiner Gruppe „Notorische Reflexe“ ein bisschen vermasselt habe. Er trug mir nichts nach, sondern gab mir den Zugang zu seinem „Global Hangover Guide (c/o Chang noi Media)“ frei: cnm@sehrgut.de. Freunde helfen einander, auch wenn Jahrzehnte dazwischen liegen.

Habe ich gerade einen pathetischen Satz geschrieben? Was solch eine Alltagsphilosophie mit voller Überzeugung anrichtet, führt der finnische Film „Bad Luck Love“ vor. Das kommt voll-cool-ey-mäßig einerseits, mit echten Großgefühlen andererseits daher, also in den Extremen. Blutiges Drama wie bei Klassikern hier, eine biedere, aber eher trostlose Familienidylle dort, das heißt in den städtischen Sozialslums. Tolle Schauspieler, großer Beifall, und Panorama-Chef Wieland Speck auf der Bühne – abgehoben wie immer: Ja, das durfte er bei einem solchen Eröffnungsfilm, diesen Fuß hoch schweben.

Wenn Kater und Hangover vorbei sind, und das wird leider erst nach Redaktionsschluss der Fall sein, werde ich heute Abend für die „Berlin Babylon“-Party fit sein, im Meistersaal, Potsdamer Platz. Dass die Panorama-Dokumente-Schiene in Gang kommt, wird mit Berliner Pilsener und den (Film-)Musikern der Einstürzenden Neubauten gefeiert, und damit werden abermals Knuts nostalgische Schnüffelzeiten aktiviert. Ah ja, den Film muss ich ja vorher auch noch irgendwie sehen, obwohl es nicht peinlich werden kann, weil da ist Jochen Arbeit (DJ) vor.

Ich habe jetzt dies und jenes erzählt, Hangoverzeugs und Blabla. Und doch ist es mir viel eher eine Vorfreude, von der nostalgischen Ulrike Ottinger zu erzählen, die mir ein Foto gab, wo Eddie Constantine drauf ist – aber „falsch, Dietrich!“, sagte sie glücklich, denn es war Valeska Gerz, und Ottingers Sessions werden am Sonnabend in der Galerie Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21 eröffnet, 17 Uhr.

Ja, wo ist denn jetzt der rote Faden? Lieber ganz aus dem Festival raus, wollte ich sagen, als zum Unsäglichen über Annauds Kriegsfilm zu kommen, „Duell – Enemy at the Gates“, der wenig grandiosen Supereröffnung des Wettbewerbs. Auf der Pressekonferenz versuchte Regisseur Jean-Jacques Annaud zu retten, was zu retten ist. Er berief sich auf Eisenstein und dessen gefühlsstarke Montagetechnik. Großaufnahmen von Gesichtern, immer wieder. Die Eisensteinfilme habe er – immer wieder! – dem Team vorgeführt. Jude Law sah in der Tat eisensteinmäßig attraktiv aus, im Film.

Im Keller unter dem Berlinale-Palast trat er allerdings eher sympathisch-naiv auf. Ja, der Krieg ist ein großes emotionales Erlebnis, sagte er. – Das Stahlgewitter, ein Gefühlsbad? Jude Law gab die korrekte Antwort: „Der Krieg bringt’s nicht.“

Annaud wurde gefragt, warum im Film keine GIs vorkämen, die seien doch Alliierte der Sowjets gewesen, und wie soll der teure Film dann in den USA ausgewertet werden? Annaud beschied den, der sich Sorgen machte, mit dem Satz: „Mich interessiert nicht der Markt, sondern die große Geschichte.“ Nächste Frage: Warum im Film nicht angemessen viele Deutsche vorkämen, denn die seien es doch, die in Stalingrad gekämpft hätten; der Frager berief sich auf Auskünfte seines Großvaters. Annaud berief sich seinerseits auf die Marktchancen seines Films in den USA, und die seien schlecht, wenn deutsche Schauspieler mit ihrem schlechten Englisch im Film radebrechten, und dies böse Deutschen-Klischee wolle er den Deutschen ersparen.

Trotzdem, der Kriegsfilm bringt’s nicht.

DIETRICH KUHLBRODT