Das Locken der Lounge

Die Welt ist alles, was eine Melodie ist: Die Berliner Band Contriva stellt im Supamolly ihr neues Album „8 Eyes“ vor

Lieder, die nur langsam anlaufen wollen, sich dann aber gewaltig festsetzen

Auf dem Land scheint sich die Berliner Band Contriva am wohlsten zu fühlen und am besten arbeiten zu können. Anfang letzten Jahres entfloh sie für ein paar Wochen ihrem sonstigen Wirkungsbereich, den Hinterhofkellern, Wohnzimmern und illegalen Bars in Mitte und Prenzlauer Berg, um in einer ländlichen Idylle irgendwo in der Slowakei ihr Debütalbum „Tell Me When“ aufzunehmen; und so klang das Album auch: entspannt-konzentrierter, verwunschen-schöner Postrock war das, zuweilen ohne Post, aber mit Pop und noch mehr heimeliger Atmosphäre.

Dieses Jahr wiederum demonstrieren Contriva auf dem Cover ihres neuen, zweiten Albums „8 Eyes“, dass sie ihre Heimat zwischen Striesen und Bartelshagen, zwischen Pölitz und Lüningsdorf haben. Dort, wo sich Füchse, Hasen und großstadtmüde Berliner eine gute Nacht wünschen, wo Hunde mit ihrem Gebell für den Backgroundgesang sorgen, wo es keine Hysterien um tolle Berliner Bands und Neue Berliner Schulen gibt, und wo anscheinend auch ein Örtchen mit dem Namen Contriva liegt: Home is where my name is.

„8 Eyes“ ist nun nicht unbedingt ein neues Album von Contriva, sondern, man staune, ein Best-of-Album und ein Remix-Album. Eine Retrospektive sozusagen, eine Werkschau, die Überblick über das Schaffen der Band in den letzten fünf Jahren vermittelt und einen Großteil der Songs versammelt, die Contriva bislang auf Singles, Splitsingles, Samplern oder EPs veröffentlicht haben: kleine Meisterwerke, Songs als Lebensmittelpunkt, aber auch für nebenbei und später; Lieder, die nur langsam anlaufen, sich dann aber gewaltig festsetzen, und das wie immer fast ohne Worte.

„8 Eyes“ demonstriert einmal mehr, wie gut Contriva mit Gitarre, Schlagzeug und Bass Geschichten auch ohne Lyrics zu erzählen wissen, wie gut sie es schon in ihren Anfängen verstanden, ganz eigene Atmosphären zu schaffen: Die Welt ist alles, was eine schöne Melodie ist, wobei die Titel der Stücke zusätzliche Bände sprechen: „Morgen regnet’s sowieso“, „Spätverkauf“, „Auf’m Land“ oder „Warten auf die Wirkung“.

Contrivas Musik hat mit großstädtischer Unruhe nichts zu tun, aber auch nichts mit gefälliger Coffeetable-Musik: sie wirkt zu beiden wie ein schnell und angenehm wirkendes Antidot.

Manchmal allerdings, wenn man es gern ein wenig härter hätte, wirkt diese Musik eine Idee zu kuschelig, zu verinnerlicht, ja, auch zu selbstverliebt, da würde man der Band gern ein wenig mehr Dampf wünschen, mehr Energie, vielleicht auch mal einen richtigen Zweifel. (Der ja durchaus produktiv sein kann).

Doch das ficht Contriva nicht an, ihre kreativen Quellen sind Ruhe und Beschaulichkeit, daraus beziehen sie ihre entscheidende Kraft. Das beweisen auch die Remixe auf der zweiten CD von „8 Eyes“, die größtenteils von minimalen Elektronikern wie Jan Jelinek, Jörg Burger oder Superpitcher stammen: Als hätten sie beim Mixen und Knöpfchendrehen Samthandschuhe angehabt, so vorsichtig gehen sie mit den Songs von Contriva um (die überwiegend von „Tell Me When“ stammen), so beschwingt-respektvoll haben sie unter diese ihre elektronischen Teppiche gelegt. Da lockt die Lounge, und nicht das Lagerfeuer.

GERRIT BARTELS

Heute ab 22 Uhr 30, Supamolly, Jessnerstr. 41, Friedrichshain