„Anstößig und schädlich“

Forderungen nach einem grundlegenden Kurswechsel grüner Landespolitik stoßen in der Partei auf Ablehnung. Mitglieder sind verärgert, Parteichefin Michalik spricht vom „Schaden für die Partei“

von RICHARD ROTHER

Die Forderungen von Grünen-Politikern nach einem grundlegenden Wechsel in wichtigen Politikfeldern sind in der Partei auf strömungsübergreifende Ablehnung gestoßen. Darüber hinaus hat das gestern bekannt gewordene Papier, das 26 Parteimitglieder unterzeichnet haben, in der Partei große Verärgerung ausgelöst.

Die Autoren – darunter drei Landtagsabgeordnete und Ex-Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer – fordern darin unter anderem eine Abkehr von der „Autoverbotspolitik“ und die Hinwendung zu den Erfolg Suchenden der neuen Mitte. Darüber hinaus schließen sie Entlassungen im öffentlichen Dienst nicht länger aus. Zudem beklagen sie, dass die Partei Probleme in Gebieten mit hohem Immigrantenanteil ignoriere.

„Das ist kein Anstoß zum Diskutieren, sondern anstößig“, kritisierte gestern die in dem Papier indirekt angegriffene Landesvorsitzende Regina Michalik. Die Autoren täten so, als habe es keine Diskussionen in der Partei gegeben. In der Verkehrspolitik organisierten die Berliner Grünen beispielsweise eine Veranstaltung mir DaimlerChrysler über die Brennstoffzelle. Dies hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben. Das Papier bediene die Klischees, die viele Wähler noch aus den Achtzigerjahren von den Grünen hätten. „Das schadet der Partei.“ Ende Februar wollen die Grünen auf ihrem Parteitag einen neuen Landesvorstand wählen. Die Positionen der Autoren dürften dabei in der Minderheit bleiben.

Als „ärgerlich“ bezeichnete Burkhard Müller-Schoenau das Papier. Die jetzt entfachte Diskussion entferne die Partei von den Wählern, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, der dem Realo-Flügel zugerechnet wird. Mit einer realitätsnahen Politik habe das nichts zu tun.

Fraktionschefin Sybill Klotz nannte den Vorstoß „kontraproduktiv“. In Umfragen lägen die Berliner Grünen im Moment in Berlin bei 13 Prozent. Die Bundes-Grünen kämen in der Stadt hingegen nur auf 10 Prozent.

Der Grünen-Abgeordnete Hartwig Berger kritisierte die in dem Papier vorgetragenen Positionen scharf. Der motorisierte Verkehr müsse zurückgedrängt werden, wenn man mehr Lebensqualität in einer Großstadt wolle. Zudem machten ihm „die neoliberalen Töne Sorgen“. Der Markt könne nicht alle Probleme lösen. So sei klar, dass in der Wasserwirtschaft Umweltbelange zurückstehen müssten, würde man hier „Markt pur“ zulassen.

In der Ausländerpolitik bedienten die Autoren konservative Klischees. Die Hinwendung vieler Ausländer zum religiösen Fundamentalismus sei vor allem ein soziales Problem. „Die andauernde soziale, rechtliche und ökonomische Diskriminierung ist die Ursache.“ 35 Prozent aller Ausländer seien arbeitslos, die durchschnittliche Quote liege bei 15 Prozent. Diese Zustände müssten die Grünen bekämpfen, anstatt eine grüne FDP werden zu wollen. „Mit den Positionen in dem Papier gewinnen wir keine neuen Wähler, sondern verlieren die alten.“