„Warum nehmt ihr Deutschen Finkelstein überhaupt ernst?“

Gibt es eine reine, richtige und wahre Erinnerung an den Holocaust? Ein Gespräch mit Peter Novick, dem Autor des Buches „Nach dem Holocaust“ und Gegenspieler Norman Finkelsteins, über die These von der Wiederkehr des Verdrängten, kollektive Erinnerungen und die Rolle, die Amerika im Allgemeinen und Hollywood im Besonderen dabei spielt

Peter Novick: Bevor Sie beginnen – ich möchte Sie interviewen. Ich komme nicht dahinter, warum die Süddeutsche Zeitung Norman Finkelstein unterstützt hat, und zwar in den meisten Artikel aus der Serie, die sie in der Zeitung hatten. Der Artikel, den ich geschrieben habe, war ursprünglich für diese Serie geplant. Er blieb liegen, bis mich vor einer Woche die zuständige Redakteurin anrief und meinte: Peter, wenn Sie Ihren Text aktualisieren, dann würden wir ihn jetzt gerne drucken. So kurz vor meiner Deutschlandreise konnte ich nicht widerstehen, und so stand er am Dienstag in der SZ. Aber die Süddeutsche nimmt Finkelstein wirklich ernst. Und das kann man nicht. Können Sie mir das erklären?

taz: Nicht wirklich. Vielleicht sind wir, das deutsche Publikum, an der amerikanischen Haltung zum Holocaust mehr interessiert, als wir es letztlich wussten. Sie geht uns an, weil wir, was Krieg und Holocaust betrifft, stark durch Hollywood sozialisiert sind, weil uns über die Berliner Mahnmals-Debatte die amerikanischen Holocaust-Museen und der Holocaust-Unterricht zu Bewusstsein kamen. Finkelstein schien einfach der Erste zu sein, der sich mit der zunehmend zentralen Bedeutung des Holocausts für Amerika befasste. Die Frage, die uns hier sicher bewusst oder unbewusst beschäftigt, nämlich, was treibt die Amerikaner dabei um, schien in seinem Buch wahrgenommen zu werden, auch wenn die Antwort eine Verschwörungstheorie war. Dass etwas politisch Gewolltes die Art der Erinnerung bestimmt, das nicht allein aus der Sache her rührt, vielleicht nehmen wir das ernst. Sie sagen ja auch, „Erinnerungen werden gewählt“. Die immer stärker werdende Erinnerung an den Holocaust sei nicht die Wiederkehr des Verdrängten im Freudschen Sinne.

Ja, wenn die Leute das Wort Wahl hören, denken sie sofort an freie Wahl, bewusste Wahl, aber das ist es nicht. Trotzdem, wenn Sie schauen, wie kollektive Erinnerungen angenommen, gepflegt, vergessen und wieder hervorgeholt werden, scheint mir die Schlussfolgerung unausweichlich, dass aktuelle Umstände und Interessen in diesen Prozess einfließen, ihn mit formen. Ich bin nicht Teil eines methodischen oder ideologischen Kriegs gegen Freud. Überhaupt nicht.

Jetzt, wo Sie zur gleichen Zeit in Deutschland sind wie Norman Finkelstein – was von Ihnen sicher auch gewollt ist, um ihm Paroli zu bieten –, ist es unausweichlich, Sie ständig nach Ähnlichkeiten und Differenzen zu fragen. Sie sagen, Erinnerungen werden gewählt, aber Instrumentalisierung, das Wort, das Norman Finkelstein gebraucht, benutzen Sie nicht?

Nein, dieses Wort kenne ich nicht. Manchmal denken die Leute, Finkelstein und ich hätten einen ähnlichen Zugang zur Frage der Erinnerung. Aber nichts könnte falscher sein. Er glaubt daran, dass es eine reine, richtige und wahre Erinnerung an den Holocaust gibt. Was ich nicht denke. Und deshalb gibt es für ihn die Leute, die die Erinnerung missbrauchen, zu ihren Zwecken verfälschen. Von seiner Haltung her ist er letztlich im gleichen Lager wie die fundamentalistischsten Verteidiger der von ihm bestrittenenThese von der Unvergleichbarkeit des Holocausts.

Finkelstein beruft sich bei seinen Vorwürfen auf seine Mutter, die Treblinka überlebte, als Zeugin der Anklage. Daniel Goldhagen, den Finkelstein in der letzten großen Holocaust-Debatte scharf angegriffen hat, bezieht sich auf seinen Vater und dessen zu wenig gewürdigtes wissenschaftliches Werk. Beide sind gewissermaßen beauftragte Söhne. Wie sind Sie an Ihr Thema gekommen?

Ich bin auf den Holocaust gestoßen, als ich religiösen Unterricht hatte, für die Bar-Mizwa. Das war 1946/47 kurz nach dem Krieg. Mein Lehrer gehörte zu der recht kleinen Gruppe von Überlebenden, die gleich nach Amerika gekommen waren. Meine Mutter ist in Amerika geboren, mein Vater kam im Alter von zwei Jahren in die USA. Von meiner Familie her war ich nicht betroffen. Ich bin dann in den Sechzigerjahren wieder mit dem Holocaust konfrontiert worden. Durch den Eichmann-Prozess. Mitte der Achtzigerjahre fiel mir dann auf, wie allgegenwärtig die Erinnerung an den Holocaust geworden war. Zumindests gab es diesen Kontrast zu früher.

In Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass der deutsche Leser in Ihrem Buch eine rein amerikanische Diskussion belauscht. Aber gibt es nicht eine Globalisierung und Standardisierung der Form, sich an den Holocaust zu erinnern, wobei ein beträchtlicher Teil der Standards amerikanisch geprägt ist?

Ja, vielleicht ist es wahr. Es kann sein, dass amerikanische Diskussionen Vorgaben machen, zeigen, was kommen wird. Ich sympathisiere auch mit den ideologiekritischen Beobachtern von Hollywood. Ich verstehe, dass es da Probleme gibt. Vielleicht ist auch das Bewusstsein der Leute auf der Straße kosmopolitischer geworden, nicht nur das der Fachhistoriker, wie ich meinem Buch sage.

INTERVIEW: BRIGITTE WERNEBURG