Ironie geht weiter

Kontinuierlich in der Gegenwart: Der ehemalige Pavement-Vorturner Stephen Malkmus mit neuer Band und neuen Songs in Deutschland

von GERRIT BARTELS

Er kommt zuerst nur zaghaft aus den Reihen weiter hinten, der Ruf nach einem Mädchen namens Jennifer, der Hauptfigur aus einem der neuen Songs von Stephen Malkmus: „Jenni & The Ess-Dog“. Erst ist es einer, dann sind es zwei, und schließlich fallen im stickigen und reichlich vollen Konzertsaal des Berliner Clubs Maria am Ostbahnhof auch vorn ein paar Stimmen mit ein und rufen nach Jennifer.

Malkmus freut sich darüber, jedenfalls glaubt man ihm das unter seinen reichlich langen Haaren anzusehen, kommentiert die Rufe aber, indem er „Steffi, Steffi, Steffi!“ zurückruft und meint, das sei hier ja wie bei den US Open, da hätten die Leute auch immer so laut einen bestimmten Namen gerufen.

Natürlich spielt er den Song dann nicht, was beim ersten Berlin-Konzert von Malkmus nach der Auflösung seiner Band Pavement aber niemand etwas auszumachen scheint: Hat man diese Reaktion doch geradezu erwartet, ist sie doch bezeichnend für einen wie Stephen Malkmus, der als einer der großen Rock-Ironiker der Neunziger gilt.

Mit Pavement bewies Malkmus, dass man Rockmusik auch machen konnte, wenn man sie in ihrem Innersten durchschaut hatte und eigentlich nicht mehr ernst nehmen konnte mit ihren ganzen Ritualen, wenn man wusste, dass sie irgendwie tot war und trotzdem weiterleben musste.

Pavement waren Anfang und Mitte der Neunziger die Antwort auf den immer schwitziger werdenden Grunge- und Alternative-Rock, auf das von Leuten wie Eddie Vedder, Chris Cornell oder Billy Corgan beschworene Jammern und Leiden via Rock: „Fight This Generation“ hieß das auf der 94er Pavement-Platte „Crooked Rain/Crooked Rain“. Pavement setzten in ihren Songs lieber Zitate gegen Authentizität, Schläue gegen hilflose Erdigkeit. Die Songs hatten alles, um große Hits zu werden, doch Malkmus und die Seinen hatten keine Lust, die Einzelteile zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen. Hier ein gängiger Riff, dort eine schöne Melodie, dazu die einnehmend-krächzige Stimme von Malkmus: Das saß, doch immer wenn es allzu selig eingängig wurde, brachen Pavement ab und ließen ihre Songs einfach so ausbrummeln. Verweigerung als Haltung war das, aber ohne Sendung, die musste man sich in den Brocken der Songs selbst zusammensuchen. Was blieb, war Musik, die sich, frei nach Hermann Burger, „als Idee beim Hören verfertigte“.

Damit wurden Pavement zu Ikonen des Indierocks und mit jedem Album größer und größer, aber auch müder. Letztes Jahr war Schluss, Malkmus löste die Band auf. Nun geht er den klassischen Weg eines Rockstars aus einer leidlich erfolgreichen Band: Er veröffentlicht ein Soloalbum mit schönem Siebzigerjahre-Porträt-Cover. Dazu erklärt er einsichtig-selbstironisch, dieses sei im „Geist von Pavement entstanden“. Denn anders als einstige Indierock-Kollegen wie, sagen wir, Bob Mould von Hüsker Dü mit seinem „Storybook“ oder Paul Westerberg von den Replacements mit seinen „14 Songs“ scheint Malkmus keinen besonders hohen Leidensdruck gehabt zu haben. Er hat erst einmal nicht vor, vom Sänger und Kopf einer Rockband zu einem Literaten zu werden, zu einem Singer/Songwriter mit einem Buch in der Hand. Dann doch lieber nur die Gitarre.

Insofern geht auch bei seiner Show im Maria alles relativ bruchlos vonstatten. Es scheinen wieder genau dieselben Leute da zu sein, die zu Pavement schon vor neun, fünf oder zwei Jahren gegangen sind. Leute, die Malkmus’ ironisch-distanzierte Art zu schätzen wissen, die gern glauben, dass er ein Rock-Intellektueller ist (selbst wenn er in Interviews oft nur wenig Lust hat, seine Musik umfassender zu reflektieren); Indierock-Publikum halt, mittelalt, mitteljung, mit Hang zum Sentimentalen. Das aber, wie ein alter Pavement-Freund berichtet, auch noch zu einer Band wie Jimmy Eat The World geht, einer jungen, amerikanischen Emo-Core-Band, die einen Abend vorher das Maria anders als Malkmus restlos ausverkaufte.

Malkmus wirkt auf der Bühne in grünem Hemd und blauer Jeans wie üblich mal mehr, mal weniger beteiligt, so als würde er gleich sagen wollen: Der Slacker in dir ist der Slacker in mir. Zu cool, um sich wirklich als Rockstar zu fühlen, dann aber wieder hoch erfreut über den Zuspruch seitens des Publikums. Die ausschließlich neuen Songs, die er mit seiner neuen, unspektakulären Band spielt, sind natürlich nicht weit weg von den alten Pavement-Liedern.

Allerdings klingen sie ein wenig lockerer, lässiger, vielleicht auch stringenter und zu Ende formulierter. Der Drang, zu zerstören, hat mit den Jahren doch nachgelassen. Und selbst die Regeln eines Konzerts hält Malkmus ein: „Jenni & The Ess-Dog“, den einzigen Song, den das Publikum schon von einer CD des Musikmagazins Spex her kennt und als potenziellen Hit hören will (das Album erscheint erst am Montag), spielt er dramaturgisch korrekt am Ende seines Sets, nach einer grandiosen Coverversion eines Wipers-Songs.

Als man sich aber in dieses schöne Lied über die 18-jährige Jenni und ihren Lover aus einer Sixties-Coverband richtig eingehört hat, die erste Strophe und der erste Refrain gesungen sind, lässt Malkmus den Song ganz old-school-mäßig wieder in sich zusammenfallen und ausdengeln. Schließlich ist seine Vergangenheit noch für längere Zeit seine Zukunft. Ganz so, wie es im Innersleeve seines Albums geschrieben steht: „I gave you a continuous present“.

Stephen Malkmus: st (Domino/Virgin)