Der dienstälteste Guerillero

Der Farc-Chef Manuel Marulanda verhandelt mit Kolumbiens Präsident wieder über einen Frieden

Seit zwei Jahren lädt er Kolumbiens Präsidenten Andres Pastrana regelmäßig in den Urwald, um mit ihm an einem provisorisch aufgestellten Tapeziertisch über einen Friedensvertrag zu verhandeln. Mal kommt der Gastgeber, mal nicht. Der Chef der größten Guerilla Lateinamerikas, Manuel Marulanda, genannt Tirofijo („Blattschuss“) versteht es, sich in Szene zu setzen.

Kein Wunder, um seine Person ranken sich eine Menge Mythen. Niemand kennt sein Geburtsdatum. Er soll 69 oder 70 Jahre alt sein. Auch gibt es Gerüchte, der dienstälteste Guerillero des Landes sei schwer krank und in seiner Organisation, der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) nicht unumstritten, aber mit Sicherheit weiß das keiner.

Sicher ist, dass Marulanda seit 50 Jahren im Untergrund lebt, der bewaffnete Kampf war sein Lebensinhalt. In dem Dorf Genova, in einer im Westen Kolumbiens gelegenen Kaffeeprovinz, kam er in armen Verhältnissen zur Welt. Er soll fünf Jahre die Schule besucht und sich dann als Waldarbeiter durchgeschlagen haben. 1949 baute er eine Bauernguerilla mit auf, die im Bürgerkrieg (1948–1958) an der Seite der Liberalen gegen die Konservativen stritt.

Danach schloss er sich linken Guerillagruppen an. Damals trug Marulanda noch seinen bürgerlichen Namen Pedro Antonio Marín. 1953 soll er den Decknamen Manuel Marulanda angenommen haben, zum Andenken an einen Gewerkschaftsführer aus Medellín, den Sicherheitskräfte 1930 ermordet hatten.

1964 gründete Marulanda aus mehreren Guerillagruppen die Farc und baute sie zur größten Guerilla des Landes aus. Heute stehen bei der Farc zirka 15.000 Freischärler unter Waffen, sie kontrolliert 40 Prozent des Landes und ist ein zentraler Machtfaktor in Kolumbien. Anders als die zentralamerikanischen Guerillas der 80er-Jahre ist die Farc nicht von Geldsorgen geplagt: Durch Entführungen und „Steuern“, die sie Drogenbauern und Drogenhändlern abknöpft, steht die Farc finanziell gut da.

Vor zwei Jahren hat Präsident Andres Pastrana den Status quo der Farc anerkannt und das Militär aus einer von der Guerilla kontrollierten Zone zurückgezogen, die so groß ist wie die Schweiz. Dies war eine der Bedingungen Marulandas, mit Pastrana zu verhandeln. Seitdem kamen die Verhandlungen nur schleppend voran, Pastrana jedoch steht unter starkem Druck, Ergebnisse präsentieren zu können. Scharfmachern im kolombianischen Militär gehen die Friedensbemühungen Pastranas zu weit, ihrer Ansicht nach habe sich Pastrana von Marulanda zu viele Zugeständnisse abringen lassen. INGO MALCHER