Rap gegen die Backsteinmonster

■ Im Cinema wird nochmal Jürgen Kösters Film „Ich bin versengt ...“ über das Bremer Buchprojekt „Irrtu(r)m“ gezeigt

Seit 1988 wird der „Irrtu(r)m“ produziert, eine Art Jahrbuch der „Initiative zur sozialen Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen e.V.“. Er versammelt auf bis zu 160 Seiten die Texte von durchschnittlich 30 so genannten „Psychiatrie-Erfahrenen“. Wie der Name „Irrtu(r)m“ schon sagt, geht es dabei um mehr als die gruppendynamisch aufregende und heilsame Gemeinschaftsproduktion einer Anthologie einsamer Angst. Jener Turm, in dem der Irrwitz seit Jahrhunderten festgezurrt wird, soll zu Fall gebracht werden, wums. Und zwar nicht nur zum Wohle der Turminsassen. Denn wie Michel Foucault inbrünstig beteuerte, leidet an der Quarantänisierung des ,Anderen' – mag sie räumlicher (in Anstalten) oder moralischer Natur sein – die ganze Gesellschaft: Das Streben nach Normalität wird zu einer Art Zwangsneurose.

Und so sieht sich die „Initiative e.V.“ auch in der Tradition der Antipsychiatrie stehen. Seit der Auflösung der Irrenanstalt Blankenburg 1982 setzt er sich ein für ein so genanntes betreutes Wohnen. Und zwar nicht nur, weil das billiger und effektiver ist, sondern weil es die Vorstellungen dieser Gesellschaft von einer ordentlichen, normalen, bürgerlichen Lebensführung umkrempeln könnte: Anderes ist möglich.

Eine zentrale Forderung des Soziologen Michel Foucault war es immer, dass die Irren nicht von Berufserklärern rauf und runter gedeutet werden, sondern selber zu Wort kommen. Das tun sie in Jürgen Kösters Film zur Genüge. Der Anfang des Films löst seinen reichlich schwerblütigen Titel „Ich bin versengt, meine Seele ist versengt“ in ein großes Schmunzeln auf. Das geht so: Bei der Feier zum 10. Irrtu(r)mheft entflammte Michael Meier, einer der wichtigsten Irrtu(r)m-Autoren, sein Manuskript versehentlich an einer Kerze – und amüsierte sich köstlich über diese gelungene Zufalls-Metaphorik. Auch sonst kommt der Film ziemlich locker daher.

Vielleicht hat es der Regisseur ja von der social-beat-Kultur gelernt, dem Grauen seinen Schrecken zu nehmen durch Musikalisierung. Einem fiesen Text über Elektroschocks und Fesselungen während einer Langzeittherapie sind alptraumhafte Kamerafahrten entlang einer Backsteinmauern unterlegt, aber eben auch flockige Technomusik. An anderer Stelle werden zwei verschiedene Lesungen desselben Textes ineinandergeschnitten, wodurch ein Hauch von Raprhythmik entsteht. Und beim Thema Inzest scheut sich der Regisseur nicht davor, ein kleines bisschen die Schnittigkeit von Videoclips zu übernehmen.

Am Ende des 55minütigen Films hat der Zuschauer drei feste Redaktionsmitglieder ein Stück weit kennen gelernt, in den Tiefpunkten ihres Lebens, aber auch im Glück, darüber schreiben zu können. Erstaunlich dabei, wie sehr die heutige Psychiatrie von vielen Betroffenen noch immer als Monster empfunden wird. bk

12.-14.2., 19.30 Uhr im Cinema. Die Irrtu(r)m-Redaktion trifft sich mittwochs von 11 bis 13 Uhr an der Vegesacker Str. 174, Tel.: 396 48 08