Hoffen auf mutigen Richter

Ein 41-jähriger Frührentner, der seit 20 Jahren an einer chronischen Darmerkrankung leidetund Cannabispflanzen zur Linderung seiner Beschwerden züchtete, steht morgen vor Gericht

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Michael G. hielt sich immer für einen „Moralapostel“ und hatte mit Drogen nie etwas am Hut. Doch 1997 fing er an, Cannabispflanzen in seiner Wohnung zu züchten. Der Grund: Verzweiflung. Der 41-Jährige leidet seit 1981 an Morbus Crohn, einer chronisch entzündlichen, in Schüben verlaufenden Erkrankung des Verdauungstrakts, deren Ursache ungeklärt ist. Jahrelang wurde er mit hohen Dosen Cortison behandelt, war immer wieder arbeitsunfähig, litt unter blutigen Durchfällen, rapiden Gewichtsverlusten, Abszessen im Afterbereich und stundenlangen Krämpfen bis hin zum Erbrechen. Bei der Bewag, wo er als Monteur arbeitete, wurde er erst in den Innendienst versetzt, weil er eine Toilette in unmittelbarer Nähe brauchte, 1993 schließlich wurde Michael G. Frührentner.

Als er 1995 – er wog noch 53 Kilogramm – einen Artikel über die positive Wirkung von Cannabisprodukten bei Morbus Crohn las und ihm sein Arzt zu einem Versuch riet, rauchte er seinen ersten Joint. „Bis dato hatte ich noch niemals eine illegale Droge zu mir genommen“, schreibt er auf seiner Homepage www.schulmax.de. 1997 begann er, Cannabis in seiner Wohnung zu züchten – für die Marihuanazigaretten gegen die Krämpfe im Unterleib und die Sitzbäder aus Cannabissud gegen die Abszesse. Das Ergebnis: Michael G. wachte ohne Schmerzen auf, die Durchfälle waren nicht mehr von Krämpfen begleitet, er nahm zu, die Durchfälle wurden „berechenbar“. „Ich wagte mich wieder aus dem Haus“, so Michael G. Bei einem stationären Aufenthalt im Benjamin-Franklin-Krankenhaus habe er sich mit Wissen der Ärzte weiter mit Marihuana therapiert. Im vergangenen Jahr konnte er dank der Sitzbäder nach 15 Jahren wieder Fahrrad fahren.

Ende gut, alles gut? Weit gefehlt. Die Polizei durchsuchte im Mai 2000 seine Wohnung. Ein Nachbar hatte wegen des „süßliches Geruchs“ die Feuerwehr gerufen. Diese alarmierte die Polizei, und Beamte beschlagnahmten 59 Cannabispflanzen, die laut Anklage 21,658 Gramm THC enthielten, einige Reste Marihuana und Cannabis und diverse technische Apparaturen. Morgen muss sich Michael G. vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln verantworten.

Seitdem seine Pflanzen beschlagnahmt wurden, besorgt sich Michael G., der bei Krämpfen mit etwa 0,2 Gramm am Tag auskommt, seine Medizin „auf der Straße“ und über eine Selbsthilfegruppe. Aus Angst, in der U-Bahn oder im Taxi durch den süßlichen Geruch aufzufallen, läuft er mit dem „Stoff“ stets zu Fuß nach Hause. „Ich hoffe auf einen mutigen Richterspruch“, so Michael G. Einer seiner behandelnden Ärzte schreibt in einem Attest: „Eine bewusste Entkriminalisierung würde den Weg zu einem Einsatz im Rahmen kontrollierten Studien vereinfachen. Die bisherigen unzureichenden medikamentösen Möglichkeiten rechtfertigen diesen Weg.“ Ein anderer Arzt: „Aus ärztlicher Sicht halte ich in Abwägung von Risiko und Nutzen einen therapeutisch genutzten Cannabiskonsum des Patienten für gerechtfertigt.“ Diese Woche geht beim Bundesinstitut für Arzneimittel ein Antrag von Michael G. ein: Er will Cannabis als Medizin nutzen.