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: Davis Cup: Kiefer besiegelt 3:2 gegen Rumänien

Rückkehr des Sündenbocks

Vielleicht hatte Nicolas Kiefer ja vergessen, wie Davis Cup ist. Vor allem, wie Davis Cup für ihn ist. Beim 3:2-Sieg in der ersten Runde gegen Rumänien wurde der Rückkehrer nach einjähriger Abstinenz schnell wieder daran erinnert, bevor er gestern sein Team mit dem Erfolg über Gabriel Trifú ins Viertelfinale gegen die Niederlande brachte und das Braunschweiger Publikum notdürftig versöhnte. Es war erst sein zweites gewonnenes Match im Davis Cup, fünfmal hatte er zuvor verloren.

Besonders die fatalistische und kampfgeistfreie Art, mit der sich Kiefer in seine Niederlagen fügte, hatte ihn zum Buhmann des Publikums werden lassen. Sicher einer der Gründe, warum er sich im Olympiajahr dem nationalen Tennisfrondienst verweigerte. Ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in Sydney, für die der erboste Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), Georg von Waldenfels, den Abtrünnigen gar nicht nominieren wollte, wurden „die Barrieren“, wie es Davis Cup-Kapitän Carl-Uwe Steeb nennt, wieder beseitigt. Die deutschen Spieler rauften sich zusammen und Kiefer kehrte voller Tatendrang ins Team zurück.

In Braunschweig schlüpfte der 23-Jährige sofort wieder in seine alte Rolle. Während Tommy Haas in gewohnter Weise zwei Punkte einfuhr, wurde Kiefer nach seiner Niederlage gegen Andrej Pavel am Freitag mit gellenden Pfiffen verabschiedet. Der Rumäne, der das Jahr 2000 immerhin als Nummer 27 der Welt beendet hatte, wunderte sich anschließend: „Die Erwartungen der deutschen Zuschauer sind sooo hoch. Ich verstehe das nicht.“

Erwartet hatte in der Tat niemand, dass es nach dem von Prinosil/Goellner verlorenen Doppel 1:2 gegen das hoch favorisierte Heimteam stehen würde, doch das Scherbengericht, das über Kiefer ob seiner angeblich so „unnötigen“ und „leichtfertigen“ Niederlage hereinbrach, wurde seiner Leistung kaum gerecht. „Er hat alles gegeben“, befand Kontrahent Pavel, nur gereicht hatte das in einem partiell guten Davis-Cup-Match mal wieder nicht.

Kiefer selbst fand kaum etwas, das er sich vorzuwerfen hatte. Nach längerer Pause wegen einer Verletzung fehle ihm eben die Matchpraxis, er sei auf dem besten Weg zurück, habe teilweise sehr gutes Tennis gespielt, einige schöne Punkte gemacht, und die Stimmung in der Halle sei toll gewesen, erklärte er mit schönfärberischer Beredsamkeit.

Eine ausgeprägte Unfähigkeit zur Selbstkritik wird nicht nur Kiefer, sondern auch Haas gern nachgesagt. Der habe schon eine Ausrede parat, wenn er auf den Platz gehe, hatte sein früherer Coach Nick Bollettieri einst gerügt. Je mehr die beiden besten Tennisspieler des Landes von Teamgeist, Deutschland und dem großen Ziel Davis Cup schwadronieren, desto deutlicher wird, dass es ihnen am liebsten ist, wenn man sie einfach in Ruhe lässt. Während in der Heimat weiter ungebrochen Großtaten von ihnen erwartet und verlangt werden, wie sie einst Becker und Stich so reichlich lieferten, haben sie längst akzeptiert, dass die Fußstapfen der Altvorderen ein klein bisschen zu groß für sie sind. Diese zählten über Jahre ganz selbstverständlich zu den absoluten Spitzenkräften des Welttennis, Kiefer und Haas sind dagegen typische Wenn-dann-Spieler. Wenn sie ihr Potential ausschöpfen, dann können sie jeden schlagen, wenn sie über längere Zeit ihre Form halten und ohne Verletzung bleiben, dann können sie ganz oben mitspielen.

Gestern war Thomas Haas in Form und brauchte auch keine Entschuldigungen. In drei Sätzen glich er gegen Pavel zum 2:2 für das deutsche Team aus und gab damit Nicolas Kiefer Gelegenheit, wenigstens für einen Tag vom Sündenbock zum Triumphator aufzusteigen.

Ein Wenn-dann-Team ist auch die deutsche Davis Cup-Mannschaft. „Wenn alles optimal läuft“, so Carl-Uwe Steeb, „dann können wir den Davis Cup gewinnen.“ Wenn nicht, kann es selbst gegen einen Underdog wie Rumänien verdammt eng werden.

MATTI LIESKE