Enttäuschungen mit Ansage

Obwohl der Berufsboxer Graciano Rocchigiani seinen Comeback-Kampf gegen Fallobst Lewis gewinnt, bleiben Fragen über die tatsächliche Form, die Rocky selbst nicht beantworten möchte

aus Berlin MARTIN KRAUSS

„Entwischt“ war Rocky, so musste Peter Hanraths, der Geschäftsführer der Universum Box-Promotion, kleinlaut zugeben. Einfach so den Security-Leuten entkommen und auch nicht zur Pressekonferenz erschienen. Schon im Ring hatte der 37-jährige Graciano Rocchigiani ein mit den Fernsehleuten von Sat.1 vereinbartes Interview verweigert, auch auf dem Weg in die Kabine wollte er sich keine Fragen gefallen lassen. Etwa danach, ob der Punktsieg, den er am Samstagabend im Berliner Hotel Estrel gegen den Kanadier Willard Lewis erreicht hatte, tatsächlich der Auftakt für ein Boxjahr darstellen soll, an dessen Ende ein Weltmeistertitel im Cruisergewicht zu erwarten ist.

Dass Rocky mit Gefolge abhaute, war die einzige Antwort, die er gab. Im Ring hatte der Berliner, der 1988 schon Weltmeister im Supermittelgewicht (Weltverband IBF) war, 1998 im Halbschwergewicht (WBC) und nun eine weitere Gewichtsklasse höher einen dritten WM-Titel anstrebt, deutlich dominiert. Aber das war das Mindeste, was das Publikum erwarten durfte. Schließlich galt der 26-jährige Lewis als das, was man gemeinhin „Fallobst“ nennt. So boxte Rocky verhalten, selten seine Doppeldeckung verlassend, und auch wenn er Treffer setzte – etliche seiner Geraden gingen zum Kopf des Kanadiers –, hinterließ das so gut wie keine Wirkung.

Es sollte Rockys Comeback werden, gemäß jeder Milieutheorie passend organisiert im Ambiente von Berlin-Neukölln, gleich hinter dem S-Bahnhof Sonnenallee. Doch es wurde eine Enttäuschung – und zwar eine mit Ansage. Rocchigiani hatte sich nicht mit seinem alten Trainer Emanuel Steward aus Detroit oder wenigstens mit seinem Bruder Ralf, der auch schon Weltmeister war, vorbereitet, sondern mit Axel Kruse. Der einstige Fußballprofi kickte eine Weile im American Football-Team „Berlin Thunder“ mit und betreibt nun unter einem Berliner S-Bahn-Bogen „Axels Sportsbar“. Kruse präsentierte sich als Trainer in der Ecke mit umgedrehter Basecap auf dem Kopf, Handtuch schwingend, ernst blickend und sehr, sehr geschäftig. Derart albern ausschauend, verdiente er sich nach Rockys Kampf auch laute und anhaltende „Kruse raus!“-Rufe. Das Publikum machte ganz offenbar den Fußballer verantwortlich dafür, dass ihr Rocky sich zwar konditionell fit genug präsentierte, ihm aber jede Fähigkeit zum Punch abhanden gekommen war.

Das Publikum war enttäuscht. Nicht nur von Rocchigiani, dessen Kampf langweilig war, sondern auch von einem anderen Hero des Westberliner Milieus: Oktay Urkal. Der nennt sich „Cassius aus Kreuzberg“ – und aus Unzufriedenheit mit dem Management, das ihm, dem Europameister im Superleichtgewicht, keine Sat.1-Übertragung gewährleisten konnte, hatte er in den Wochen vor dem Kampf angekündigt, das Management zu wechseln, und eigentlich wollte er auch den Kampf absagen. Vom Hamburger Universum-Stall des Gastronomen Klaus-Peter Kohl will Urkal zum Kölner Wilfried Sauerland wechseln.

Da hat er aber noch nicht unterschrieben – und musste so seinen Vertrag bei Kohl noch erfüllen: Also boxte Urkal am Samstag in einem Nicht-Titelkampf gegen den ihm völlig unbekannten Franco Ogentho, den der Ringsprecher als Boxer aus den USA vorstellte. Was glattweg gelogen war, weil Ogentho aus Uganda kommt und zudem einen Wohnsitz in Berlin hat. Der 27-Jährige hatte noch nie verloren und wurde vom Universum-Team ganz offensichtlich als gemeine Drohung gegen den abwanderungswilligen Urkal eingesetzt – ein Lehrstück, wie es im Boxbusiness zugeht.

Ogentho, der in Deutschland noch kaum bekannte Klasseboxer, lieferte einen großen Kampf und schlug den verdutzten Urkal gegen Ende der dritten Runde mit einem Wirkungstreffer in die Seile. Auch in der fünften Runde wurde der Berliner durchgeschüttelt, in der achten Runde hätte der Ringrichter ihn eigentlich anzählen müssen. Das Kampfgericht entschied letztlich auf „einstimmigen Punktsieg“ für den Deutschtürken, womit die Botschaft des Universum-Boxstalls an den abtrünnigen Urkal klar war: Wir haben dir einen starken Gegner ausgesucht, du hättest verlieren können, vielleicht sogar müssen, aber wir, dein gutes Management, haben dich im letzten Moment vor einem Absturz gerettet – also vertrau uns gefälligst auch künftig.

In Urkals Abgang aus der Halle mischten sich, ähnlich wie bei Rocky, denn auch viele Pfiffe, der tapfere Franco Ogentho erhielt hingegen mehr als nur den Respektsbeifall. Universum-Geschäftsführer Hanraths übernahm den Part, die Botschaft an Urkal in Worte zu packen: „Er hat die Aufgabe gut gemeistert. Vielleicht können wir ihm schon bald einen WM-Kampf anbieten. Schließlich will er ja Weltmeister werden. Unsere Tür ist offen.“

Hanraths weiß genau, dass der an diesem Abend sportlich überzeugendste Boxer, der Halbschwergewichtler Thomas Ulrich aus Berlin, nicht das Zeug hat, eine so überzeugende und begeisternde Milieugröße zu werden wie Graciano Rocchigiani oder Oktay Urkal. Aber Hanraths weiß auch, dass Boxer wie Rocky und Urkal nicht eben pflegeleicht sind und ihm schon mal gerne entwischen. Da muss der Manager dann auch mal drohen: mal mit einem Vertrag, mal mit einem zu starken Gegner.