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Dem Trichter entkommen

Erst in der zweiten Halbzeit findet Bayer Leverkusen die nötige Ruhe, um dem rheinischen Rivalen 1. FC Köln beizukommen, das Match mit 4:1 zu gewinnen und den Bayern auf den Fersen zu bleiben

aus Leverkusen ERIK EGGERS

Fußball-Arithmetik ist simpel. Hinter jeder Begegnung steht das nackte Ergebnis. Und doch weiß jeder: Richtig interessant wird es erst dann, wenn hinter den rationalen Zahlen etwas Irrationales auftaucht; dann beginnt die Zeit des „Hätte“, „Wenn“ und „Aber“.

Dieser Abend jedoch steht gewiss nicht im Zeichen des Konjunktivs, dafür sind die Zahlen zu deutlich; Bayer Leverkusen siegte im eigenen, ausverkauften Stadion mit 4:1. Eckenverhältnis: 13:0. Zweikampfsiege: Gefühlte 65 Prozent. Nach einer fragwürdigen Elfmeterentscheidung gingen die Kölner zwar schnell in Führung, nach der Halbzeit mussten sie sich aber, wie danach jeder betonte, der individuellen Klasse der besseren Einzelspieler Leverkusens beugen und kassierten folgerichtig vier Tore. So einfach ist das.

Hören wir mal in die Analyse. Sie ist komplizierter. In der ihm eigenen Metaphorik erzählt Bayer-Trainer Berti Vogts die Geschichte der ersten Halbzeit: „Die Kölner haben uns ganz geschickt gelockt, in den Trichter.“ Was er sagen will: Die Angreifer seines Teams versuchten es immer wieder durch die Mitte, mit der Kopf-durch-die-Wand-Strategie. Sogar die weit ausgreifenden, hypertonischen Armbewegungen seines Komplizen Littbarski am Spielfeldrand konnten keine Flügelläufe bewirken. Außerdem, sagt Vogts, „waren wir sehr nervös und unruhig am Ball“. Aber dafür hat er eine Erklärung: „Sie dürfen nicht vergessen, dass wir eine sehr junge Mannschaft haben.“

Das klingt ein wenig euphemistisch. Die Versuche Leverkusens in der ersten Halbzeit darf man mit Fug und Recht als planlos bezeichnen. Auf der linken Seite hatte Cullmann Zé Roberto fest im Griff. Und Matthias Scherz brachte nicht nur Mittelfeldmotor Ballack zum Stottern, sondern fand auch noch Zeit, den einen oder anderen gefährlichen Konter zu laufen. Die Sprints des früheren St. Paulianers, bei denen er sowohl Nowotny als auch Lucio beängstigend viele Meter abnahm, waren jedoch meistens dem Ball zu schnell – das lag Samstag aber nicht an den Kratersee-Miniaturen, die ihn noch im Spiel gegen Freiburg gestoppt hatten.

Dann schüttete Berti, der meisterhafte Psychologe, etwas Baldrian in den Pausentee und konnte damit den Blutdruck seiner Akteure nach unten justieren. Das geeignete Rezept: Als Lucio, in den letzten 30 Minuten überragende Spielfigur, nach Doppelpass mit Kirsten das 1:1 erzielte, war dem Trainer „klar, dass wir als Sieger vom Platz gehen“. Es folgte, selten genug, ein Kopfballtor von Ballack, und als Neuville, dem vorher alle Bälle vom Fuß gesprungen waren, gar das 3:1 erzielen konnte, da war das Spiel entschieden. Der Fisch war längst geputzt, als Lucio zum Schluss noch einen Abstauber versenkte.

Hinterher schwärmten alle vom zweifachen Torschützen, und Vogts erzählte mal wieder der erstaunten Fachwelt, was er von südamerikanischer Physis eigentlich hält: „Er ist normalerweise kein Brasilianer, er ist ein Athlet!“ Einziger Kritikpunkt: „In der ersten Halbzeit ist Lucio zu lange mit dem Ball gelaufen.“ Der Kleinenbroicher fand die Dribbelkünste Lucios vor dem eigenen Sechzehner, ein pausenloser Ritt auf der Rasierklinge, wohl nur bedingt unterhaltsam. Samstag ging das noch gut, so dass Vogts resümieren konnte: „Wir haben deutlich gezeigt, wer die Nummer 1 am Rhein ist.“

Sein aus Westfalen stammender Trainerkollege Ewald Lienen findet das Derby-Gerede eher uninteressant. Er, der 1979 gemeinsam mit Berti in Gladbach Uefa-Cupsieger wurde, war trotz allem mit dem Kampfgeist seiner Truppe zufrieden: „Wir haben alles gegeben.“ Er sah den Schlüssel des Spiels in den Zweikämpfen, denn „in der 1:1-Situation hatten wir größte Probleme. Wir konnten den technisch überlegenen Leverkusenern einfach nicht den Ball abnehmen.“ Außerdem bescheinigte Lienen dem Jungstar Christian Timm fehlende Cleverness. Dieser wäre nach der Auswechslung von Scherz eigentlich für Ballack zuständig gewesen: „Scherz ist keine zehn Sekunden vom Platz, da fällt das Tor.“

Doch wie gesagt, das sind alles nur Gedanken im Konjunktiv. Am Ende steht das bloße Ergebnis und Vogts’ Fazit: „Der starke Aufsteiger hat gegen eine starke Mannschaft verloren.“ Leverkusen, das jetzt drei Spiele in Folge gewonnen hat (bei 10:2 Toren), ist weiter an den Bayern dran, der FC muss sich ab sofort die untere Tabellenhälfte angucken. Da gibt es wenig zu rechnen. Fußball-Arithmetik ist eben simpel.

Bayer Leverkusen: Zuberbühler - Nowotny, Lucio - Zivkovic, Kovac, Ramelow, Placente - Ballack, Ze Roberto (84. Schneider) - Neuville (87. Ponte), Kirsten (75. Berbatov) 1. FC Köln: Bade - Sichone, Cichon, Kellerler - Cullmann, Lottner (81. Donkov), Dziwior (81. Bulajic), Springer - Scherz (63. Kreuz), Arweladse, TimmZuschauer: 22.500; Tore: 0:1 Lottner(8./Foulelfmeter), 1:1 Lucio (57.), 2:1 Ballack (65.), 3:1 Neuville (78.), 4:1 Lucio (90.)

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