Kotztüte verzweifelt gesucht

Sehr blutig: Max Blaeulichs Dramolett „Dolly“ geht reichlich an die Geruchsnerven

Das delikate Artefakt wird umschlossen von einer flachen Blechkassette, deren Maserung an Regionalbahnwaggons älteren Baujahrs erinnert, silbern verweht, also gräulich. Max Blaeulich dürfte es seinem „Werk“ nicht zutrauen, sich unverhüllt betrachten zu lassen. Tatsächlich muss der normal Sterbliche mit gesundem Menschenverstand und -empfinden sorgfältig darauf vorbereitet werden. Er braucht, so ein Kunstredakteur, Regeln für die Kundgabe seiner Abscheu und ein Speibsackerl (hdt.: Kotztüte).

Blaeulich, Schriftsteller, Maler und Betreiber von Trauerkabinen, hat sich der Klonerei angenommen. Dolly, zunächst als Spielzeugschaf aus Holz, wurde in 36 Teile zersägt, sozusagen als Probe für den blutigen Ernstfall. Öffnet man die Kassette, liegen die 36 Teile fotografiert als Glanzplakat zusammengefaltet über dem Ernstfall, der sofort und olfaktorisch wirksam wird. Es empfiehlt sich, das Päckchen in der Umgebung von Orangen und Mandarinen zu öffnen; auch würziger Speiseduft, etwa von Wildbraten, gibt einen guten Kontrast ab. Denn allmählich entfaltet der Kassetteninhalt sein Eigenleben, vor allem: seine Duftnote – herbsüßlich, impertinent, an Schlachthof erinnernd. Sinnlos, Chanel Nr. 5 oder Moschus einzusetzen.

Blut, wabernd, dunkelrotbraun: ein Plastiksackerl, Name und Titel auf dessen Grund, darüber wallt locker und luftblasenverdünnt die blutige Soße – das ist der Deckel. Dito die Rückseite. Der Bluteinband (mit die Gerinnung verhinderndem Zusatz) eine Weltpremiere in der Bibliohistorie. Und dazwischen, kein Zweifel, Gedrucktes, ein Stück, ein Dramolett, natürlich magenverdrehendes.

Der Text geht so: Zwei ziemlich zwielichtige, widerliche und entsprechend bekleidete Austromafiosi warten in einer Schlachthalle, die sie als „Caféhaus“ bezeichnen, mit Klonschaf Dolly auf die Anästhesistin mit der Spritze. Mit von der Partie ein schweigsamer Kampfhund Marke Schäfer, der ab und zu etwas von „Fressen“ faselt, und ein Chor, der eine fröhlich-blöde Zeile jodelt. So sind sie halt in Österreich. Die Unterhaltung der drei Wartenden dreht sich um tepperte Journalisten, die sich im Gelände auf der Suche nach der großen Dolly-Story herumschleichen, um ebenso tepperte und herumschleichende Agenten, denn in Österreich schleichen seit dem Film „Der unsichtbare Dritte“ unsichtbare Agenten von rechts nach links und von links nach rechts herum. Des Öfteren wird festgestellt, dass Warten nervös macht nach 20 Minuten, nach 50 Minuten, nach eineinhalb Stunden. Reichlich wird kurz und prägnant philosophiert. Die Situation ist eine Mischung zwischen Musil und Beckett, zwischen osteuropäischem Bahnhofskatarrh und „Warten auf Godot“, nur gibt es weder das eine noch das andere, nur Dolly und das miefelnde Café. Den Schluss will ich, um die Spannung zu erhalten, nicht verraten, außer dass er sehr blutig ist, wovon auch die Umschlagdeckel zeugen, die mit dem Schluss der Handlung gefüllt sind.

Rhinoterrorist Max Blaeulich hat dafür gesorgt, dass niemand betulich das Büchlein liest, sondern bei der Lektüre von der zunehmenden Penetranz des Blutgeruchs geplagt wird. Buchstäblich schlägt sich das Werk auf die Sinne: Man kann es nicht einfach lesen und gleich wieder vergessen. Das Artefakt „Dolly“ regt nicht nur Magen und Geruch an, sondern vor allem die Assoziationskraft der von Prionen noch verschonten Gehirnteile.

BALDUIN WINTER

Max Blaeulich: „Dolly“. Dramolett. Zu beziehen über Tartin Austria: Direktion Rudolf Ruder, Ludwig Hartinger, Uferstr. 8, 5026 Salzburg