: Sehnsucht nach Weser-Ems ...
■ ... oder: Überall ist Oldenburg. In der dortigen Kulturetage machten sich jetzt Schriftsteller, Filmemacher und andere Kulturleute Gedanken zur Heimatkunde
Irgendwo in Ostfriesland, zwischen Ditzum und Petkum pendelt eine Fähre, und der Fährmann träumt sein Leben lang von großer Fahrt. Irgendwo dort an der Küste sticht ein Fischer in See, denn das muss er tun. Und seine Frau mit dem Baby im Bauch weiß nicht, ob er zurückkommen wird, in ihre Heimat. Denn seine Heimat, das ist die See. So sang es die ostfriesische Gruppe „Lawaai“ zum ersten Teil der Reihe „Heimat, deine Sterne“, die von der Oldenburger Kulturetage und NDR 1- Radio Niedersachsen initiiert wurde.
In lockerer Clubatmosphäre – diesmal irgendwo zwischen Butterfahrt und Late-Night-Special – trafen sich geladene Gäste zum Talk. Vor schon nicht mehr jungem Publikum suchten sie unter dem Schlagwort „Heimatkunde“ nach den „verbindenden Elementen in einer künstlich entstandenen Heimatregion“, gemeint ist das Weser-Ems-Gebiet. Und das war schwierig, deuteten doch schon die Songpoeten an: Heimaten gibt es viele, Sehnsucht ist ihr Motiv. Gerd Snitjer vom NDR war in der Vorbereitung seiner Moderation sodann auch auf 500.000 Homepages zum Thema gestoßen, erst die Eingrenzung auf „Heimatbegriff“ führte zu mehr Übersichtlichkeit: Da meldete sich nur die NPD auf dem Bildschirm. Und die setzt Maßstäbe, denn schließlich geht es bei der Rede von der Heimat hierzulande auch immer darum, sich gegen rechts abzugrenzen.
Einig waren sich die Diskutierenden darin, dass Heimat viel mit der Sehnsucht nach der Kindheit zu tun und daher etwas Rückwärtsgewandtes an sich habe. Der Oldenburger Schriftsteller Klaus Modick trug aus „Behelf, Ersatz und Prickelpit“ vor, seine Kindheitserinnerungen aus dem Oldenburg der fünfziger Jahre, und bezeichnet sie als „eng begrenzte Lichthöfe zwischen denen es dunkel ist“. Die Zeit, als man noch in Flüssen baden durfte. Diese Erfahrung aber mache jeder auf seine Art: Kindheit sei nun mal verloren. Und daher dürfe man nicht ernsthaft behaupten, Heimat sei geographisch zu begrenzen. „Oldenburg ist überall oder überall ist Heimat“, behauptete er. Und der Oldenburger Filmemacher Karl-Heinz Heilig unterstrich das aus eigener Erfahrung: „Ich hatte keine Kindheit. Ich lebe sie in meiner Arbeit und entdecke meine Drehorte mit kindlichen Augen.“ Heimat als etwas, das man sich schafft, wo man sich wohlfühlt, mit dem Ort und den Menschen. Das war das bestimmende Thema seines Film „La Casa delle Favole“ über den Schweizer Walter Barthlome, der sich im Niemandsland zwischen Frankreich und der Schweiz ein blühendes Paradies geschaffen hat. „Dieser Ort hat mich gemacht“, sagt er im Film.
Und schließlich belegte der Archäologe Rolf Bärenfänger, dass gerade in der Weser-Ems-Region lokal gebundene Heimaten ein Mythos sind. Denn gerade in diesem Gebiet mussten die Menschen aufgrund der vielfachen Wandlungsbewegungen der Marsch ihren Ort sehr oft neu gestalten. „Es gibt sogar archäologische Reste weit draußen im Wattenmeer.“ Da warf sich auch schon Eva-Maria Schute, die Vorsitzende des Verbandes Oldenburgische Landschaft in die Bütt: „Xenophobie hat mit Heimatliebe nichts zu tun.“ Fremdenfeindlichkeit entstehe eher aus dem Gefühl des eigenen Unvermögens. Daher sei es wichtig, als durchgehenden Bildungsauftrag kulturelle Kompetenz der Bürger zu fördern. „Damit die mitgestalten und sich in Oldenburg nicht etwa Pommesbude an Pommesbude reiht.“
Vorsichtige Quintessenz: Heimat – ein Gefühl von eingebunden sein, pendelnd zwischen sehnsuchtsvoller Erinnerung an das unbeschädigte Einssein mit der Welt in der Kindheit und tätiger Aneignung der Gegenwart, um eben dieses Einssein wieder herzustellen. Identität.
Dass man dazu nicht unbedingt den Heimatbegriff aktivieren müsse und der ruhig mal unter einer Käseglocke vor sich hinschmoren könne, darin war man sich einig. „Man muss auch erst mal wissen, was man mit dem so geretteten Begriff anfangen will“, warf Klaus Modick ein. „Wenn die NPD den haben will, soll sie doch sehen, ob sie damit glücklich wird.“ Ewald Christophers, Seniorautor des NDR dann etwas erschrocken: „Darf ich denn nun noch sagen, dass ich Ostfriese bin?“ Darf er? Die Reihe wird fortgesetzt.
Marijke Gerwin
Sonntag, 18.2.: „Ex-Heimat – Der Ort, an dem ich geboren bin, der Ort, an dem ich lebe“ unter anderem mit dem TV-Journalisten Heiko Engelkes; Sonntag, 25.2. „Neue Heimat – Kulturelle Identität und Integration“ u. a. mit dem chilenischen Schauspieler Alvaro Solar; jeweils von 11 bis 13 in der Kulturetage, Bahnhofstr. 11. Infos unter www.kulturetage.de
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