Flüchtlinge als Spielbälle in Guinea

Im Süden des Landes, wo Armee und regierungstreue Milizen gegen Rebellen und Ausländer vorgehen, evakuiert die UNO tausende Flüchtlinge. Aber dorthin, wo die meisten von ihnen leben, kommen die Hilfsorganisationen gar nicht durch

von DOMINIC JOHNSON

Was sich derzeit in den unwegsamen Bergwäldern im Südwesten Guineas abspielt, bezeichnen Hilfsorganisationen als die derzeit schlimmste humanitäre Krise der Welt. Hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene sind Armeen und Milizen aus drei Ländern ausgeliefert. Sie sind Spielbälle in einem politischen Konflikt um die Macht nicht nur in Guinea, sondern auch in Sierra Leone und Liberia. Jetzt evakuiert das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Flüchtlinge aus dem Kampfgebiet – mit unabsehbaren Konsequenzen.

Betroffen ist zunächst das Flüchtlingslager Nyaedu, 15 Kilometer von der Stadt Guékédou entfernt. Im Rhythmus von 350 Personen pro Tag, transportiert in Lastwagen unter Bewachung der guineischen Armee, begann das UNHCR letzte Woche, die 35.000 Bewohner dieses Lagers 200 Kilometer nach Norden in die Nähe der Stadt Faranah zu bringen und damit aus der Kampfzone zu entfernen. Guékédou liegt im Zentrum des Kriegsgebietes von Guinea, wo sich seit September 2000 Guineas Armee und oppositionelle Milizen bekämpfen. Guékédou wurde bei den jüngsten Kämpfen, die am 4. Februar mit der Rückeroberung der Stadt durch die Regierungstruppen endeten, völlig zerstört, hauptsächlich durch Luftangriffe der Armee.

Jetzt jagt die Armee in und um Guékédou alles, was nach Rebellen und Ausländern aussieht. Denn nach Meinung von Guineas Regierung sind die guineischen Rebellen, die sich letztes Jahr unter dem Namen „Bewegung der Demokratischen Kräfte Guineas“ (MFDG) konstituierten, nichts anderes als ein Feigenblatt für Guineas Feinde in Sierra Leone und Liberia (siehe Kasten). Daher gelten die 295.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone und Liberia, die seit Jahren in der Region um Guékédou leben, als Kriegsgegner.

„Wir haben unsere Bewegungsfreiheit verloren und stehen alle im Verdacht, Rebellen zu sein“, schrieben Anfang Januar die damals erst 17.000 Flüchtlinge in Nyaedu in einem Brief an das UNHCR. Im Kleinhandel mit der einheimischen Bevölkerung Geld zu verdienen oder zur Schule zu gehen, sei nicht mehr möglich, klagten sie, und forderten die Rückführung in ihre Heimatländer. „Wenn wir sterben müssen, dann lieber zu Hause.“

Insgesamt leben in Guinea 375.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone und 155.000 aus Liberia. Dass sie nach Hause wollen, sagen sie jedem, der sie besucht, von der Afrikabeauftragten des deutschen Auswärtigen Amtes, Gräfin Strachwitz, Mitte Januar bis zu UNHCR-Chef Ruud Lubbers am letzten Wochenende. Aber nun werden die Flüchtlinge nicht nach Hause geschickt, sondern in die Gegenrichtung.

Dort, wo die Flüchtlinge hinsollen, mobilisieren bereits Politiker die Bevölkerung gegen die unerwünschten Neuankömmlinge. Pogrome gegen ausländische Flüchtlinge gehören seit Beginn des Bürgerkrieges zum Alltag. Die Regierung von Präsident Lansana Conté hat Milizen mobilisiert, um Ausländer und Rebellen zu jagen. Dies führt zu massiven Übergriffen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die in von den Milizen zurückeroberte Gebiete im Süden Guineas vordringen konnten, haben Köpfe getöteter „Rebellen“ an Bäumen hängen sehen. In Nyaedu und im großen Flüchtlingslager Massakoundou nahe der Stadt Kissidougou haben Milizen Hilfslieferungen beschlagnahmt und Kämpfer rekrutiert.

Aber eine Rückführung der Flüchtlinge nach Sierra Leone und Liberia auf dem direkten Weg über die Grenze ist unmöglich. Denn Guineas Armee hat das Grenzgebiet um Guékédou komplett abgeriegelt. Im so genannten „Papageienschnabel“ – das Stück Guinea, das südwestlich von Guékédou nach Sierra Leone hineinragt – sind nach Schätzungen der Hilfsorganisationen 180.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone sowie 80.000 guineische Kriegsvertriebene eingekesselt. „Säuberungsaktionen“ nennt die Armee als Grund dafür, warum keine Hilfsorganisationen dorthin durchgelassen werden. Guineas Militär will das Gebiet unbedingt unter Kontrolle bekommen, bevor kommende Woche eine von Nigeria geführte, 1.676 Mann starke westafrikanische Eingreiftruppe einrückt und „Neutralität“ walten lässt.

In ihrem Kriegseifer schont Guineas Regierung niemanden. Regelmäßig bombardiert sie mit ihren neuen Kampfhubschraubern, die sie mit Hilfe Frankreichs und Großbritanniens erworben hat, Dörfer im Norden Sierra Leones und Liberias. Oppositionelle sehen Guineas Präsidenten Lansana Conté aber wegen seiner autoritären Herrschaft als zunehmend isoliert. Erst in seiner Neujahrsansprache wehrte er Forderungen nach einem Dialog mit seinen Gegnern ab: „Ich rede mit niemandem. Ich befehle. Punkt.“