Virginia kennt keine Reue

Der US-Bundesstaat lässt den ehemaligen Todeskandidaten Earl Washington Jr. nur widerstrebend und unter Auflagen frei. Neuneinhalb Jahre saß er in der Todeszelle. Doch von einer Entschuldigung seitens der Behörden ist nicht die Rede

aus Washington ELLY JUNGHANS

Im US-Bundestaat Virginia ist gestern ein unschuldig zu Tode Verurteilter aus der Haft entlassen worden. Earl Washington Jr. war bereits im Jahre 1985 dem elektrischen Stuhl nur um wenige Tage entkommen. Und schon 1988 bewies eine Blutprobe, dass das gegen ihn gefällte Todesurteil haltlos war.

Doch erst zwölf Jahre später öffneten sich gestern die Türen des Staatsgefängnisses für Washington Jr. Zu einer Entschuldigung konnten sich die Behörden des Bundesstaates bisher nicht durchringen. Und selbst nach dem Ende seiner Haft ist Washington Jr. noch nicht wirklich frei.

Seit Mitte der 70er-Jahre, als Hinrichtungen in den USA wieder erlaubt wurden, haben sich 95 Todeskandidaten im Nachhinein als unschuldig erwiesen. Zehn von ihnen rettete ein Gentest das Leben. Virginia ist nach Texas der US-Bundesstaat mit den meisten Hinrichtungen und für die Fehlbarkeit seiner Justiz bekannt.

Washington Jr., schwarz, geistig zurückgeblieben und in tiefer Armut aufgewachsen, wurde 1984 wegen Vergewaltigung und Mordes zum Tode verurteilt. Vier Jahre später löste sich der Tatverdacht in Luft auf: Die Spermaspuren, die auf der Bettwäsche des Opfers gefunden worden waren, stimmten nicht mit seiner Blutgruppe überein.

Doch die Justiz des Bundesstaates ließ sich Zeit damit, Gnade walten zu lassen. Erst 1994, nach zwei Gentests, wandelte der damalige Gouverneur von Virginia, Douglas Wilder, die Todesstrafe in eine lebenslängliche Haftstrafe um. Neuneinhalb Jahre hatte Washington Jr. in der Todeszelle verbracht. Im Oktober 2000 sah sich der neue Gouverneur Jim Gilmore gezwungen, das Urteil per Gnadenerlass gänzlich aufzuheben. Wegen eines Raubüberfalls, den er 1983 begangen hatte, blieb Washington Jr. dennoch in Haft. Dieses Verbrechen, für das er nun schon fast 18 Jahre und damit unverhältnismäßig lange büßt, dient den Behörden als Vorwand, das Leben des ehemaligen Todeskandidaten weiter zu kontrollieren. Eine Reise in die US-Hauptstadt, wo er am 12. Februar vor die Presse treten wollte, wurde ihm untersagt. Der ehemalige Häftling soll nun in einer betreuten Wohnung für geistig Behinderte in Virginia Beach untergebracht werden. So lange er nur auf Bewährung frei ist, sind ihm Reisen selbst innerhalb des Bundesstaates nur mit Genehmigung erlaubt.

Den Behörden sei die Sache zwar peinlich, doch sie zeigten keine Reue, sagte Washington Jr.'s Anwalt Barry Weinstein der Lokalzeitung Virginia Pilot. „Ich warte immer noch darauf, dass endlich mal jemand ,Entschuldigung‘ sagt.“

Der Fall des nun 40-Jährigen hat in Virginia viel Staub aufgewirbelt. So wechselte zum Beispiel ein erzkonservativer republikanischer Regionalabgeordneter, der noch 1982 für öffentliche Hinrichtungen durch den Strang eintrat, ins Lager der Todesstrafengegner. Doch sein Antrag, die Todesstrafe abzuschaffen, wurde im Parlament des Bundesstaates auf Ausschussebene einstimmig abgelehnt.