Gottes Verbot und Teufels Beitrag

Vielleicht lernt Gott ja von den Menschen: Sandi Simcha DuBowski schildert in seinem Dokumentationsfilm „Trembling before G-d“ (Forum) das Dilemma, zugleich homosexuell und orthodoxer Jude zu sein. Religion ist keine Privatsache

von DETLEF KUHLBRODT

In der schäbigen Sprache nicht nur der Spontis wurden früher gerne Witze gemacht über mehrfache Stigmatisierungen. Die, die meinten, als undogmatische Linke über jeden Verdacht etwaiger Vorurteile erhaben zu sein, redeten gerne von von schwulen Juden, behinderten Schwarzen, von „Negermusik“ und dergleichen. Das sollte dann lustig sein und außerdem noch kritisch, weil es die angeblich so verlogenen Regeln einer von oben verordneten politischen Korrektheit entlarvte, die dummerweise nur in Deutschland nie so sehr Fuß fassten wie in anderen Ländern.

Daran denkt man zunächst natürlich in Deutschland, wenn man sich den amerikanisch/israelischen Dokumentarfilm „Trembling before G-d“ (also vor Gott) über schwule und lesbische Juden anschaut, die versuchen, beides unter einen Hut zu bringen: ihr Schwul- bzw. Lesbischsein und ihre Religiösität. Das Dilemma ist groß, denn im Alten Testament wimmelt es nur so von drastischen Verboten der Homosexualität. Dass die Religion anders als zumindest teilweise im Christentum alles andere als eine Privatsache ist, die man mit sich selber und seinem liberallieben persönlichen Gott auszufechten hat, macht es noch schwieriger.

Der in New York lebende dreißigjährige Filmemacher Sandi Simcha DuBowski hat fünf Jahre lang in Brooklyn, Jerusalem, Los Angeles, London, Miami und San Francisco zahlreiche orthodoxe und chassidische homosexuelle Frauen und Männer befragt und begleitet.

Man begegnet vielen Menschen: lesbisch-chassidischen Frauen, die Zweckehen eingingen und auch gerne mit ihren Freundinnen einen Platz im Himmel hätten; einem amerikanischen Juden, der als Teenager immer aufschreiben musste, wann er onanierte, weil Onanie, wie ihm ein Rabbi erzählt hätte, eigentlich noch verwerflicher ist als der eigentliche Geschlechtsakt; eine lesbische Frau erzählt, dass es ihr die orthodoxen Reinheitsvorschriften, nach denen Frauen ohnehin kaum mehr als die Hälfte ihrer Zeit „rein“ sind, also Sex haben dürfen, leicht gemacht hätten, ihr Lesbischsein zu verheimlichen.

Diverse jüdische Psychotherapeuten berichten von den Schäden, die schwul-lesbische Juden in ihrer Entwicklung nehmen. Ein Rabbiner sagt, es sei ein Widerspruch in sich, zugleich schwul und orthodox zu sein. Ein anderer freundlicher Rabbi, der einem der Protagonisten vor zwanzig Jahren geraten hatte, sich in eine Therapie zu begeben, was nicht so erfolgreich war, unterscheidet zwischen der persönlichen Anklage, zu der er sich nicht berechtigt fühlt, und Gottes Verbot, das sein Besucher gleichwohl übertrete.

Andere bieten theologische Möglichkeiten an, die scheinbar unvereinbaren Identitäten aufrechtzuerhalten. Einer erzählt davon, wie er einem Rabbi seine Homosexualität beichtete. Der sei erst einmal entsetzt gewesen, hätte aber später gesagt, dass in der Offenbarung nur der Analverkehr ausdrücklich verboten ist, dem der Fragende ohnehin nicht zugeneigt war. Eine liberale jüdische Therapeutin deutete an, dass die Bibel möglicherweise nicht Gottes letztes Wort sei, sondern dass Gott von den Menschen lernen würde, wie man an der Geschichte Moses' sehe, dass das Verbot der Homosexualität also nicht absolut zu sehen sei.

Viele Leute, die vor allem darunter leiden, dass sie als Homosexuelle von ihrer Gemeinschaft, den Religionsschulen oder der tief religiösen eigenen Familie verstoßen wurden, erzählen ihre Geschichten. Den Weg in die größtenteils atheistische Subkultur wollen sie nicht gehen, sondern Teil ihrer Gemeinschaft bleiben. Das ist mutig – wenn eine lesbische Frau etwa im Gewand der Orthodoxen auf einem israelischen Gay-Pride-March den ausbuht, der auf der Bühne die Orthodoxen für die Diskriminierung der Homosexuellen beschimpft.

„Trembling before G-d“ ist ein seltsamer Film. Einerseits denkt man, es wäre besser gewesen, weniger Menschen zu Wort kommen zu lassen, oder findet einige Szenen sehr indiskret – wenn man etwa Zeuge des ersten Telefongesprächs nach zwanzig Jahren wird, das ein schwuler Sohn mit seinem alten Vater, der Rabbi ist, führt. Andererseits – und das wiegt weit schwerer – wirft der Film viele Fragen auf, die nicht nur Juden, sondern auch Christen und Atheisten in unserer atomisierten Gesellschaft betreffen, die das abweichende Begehren zu privatisieren oder in die dafür vorgesehenen Gettos abzuschieben gewohnt ist.

„Trembling before G-d“. Regie: Sandi Simcha DuBowski, USA, 94 Min.