Mythos Produktion

Deutsche Film- und Fernsehproduzenten sind alles andere als unabhängig. Medienkonzerne geben den Ton an, das duale System ist gescheitert

von STEFFEN GRIMBERG

Was macht eigentlich Georgia Tornow? Immerhin war es nach ihren Econy- und Vivian-Abenteuern ruhig um die Ex-taz-Chefin. Aber das wäre mittenrein gesprungen, deshalb von vorn: Dass Deutschlands TV-Sender mittlerweile in drei großen Blöcken namens Kirch, RTL/Bertelsmann und Öffentlich-Rechtlich zusammengefunden haben, ist ein alter Hut. Dass auch die angeblich unabhängige, mittelständische deutsche Fernsehproduktionslandschaft immer stärkere Konzentrationsschübe durchmacht, ist da schlicht konsequent. Um die Unabhängigkeit der Fernsehmacher war es allerdings nie gut bestellt. Und heute findet sich unter den zehn führenden TV-Produktionsfirmen nur noch eine, die nicht mit einem der drei großen Senderverbünde verbandelt ist.

Das liege in der Natur der Sache, bilanziert nüchtern die Kölner Beratungsfirma HMR International: „Medienkonzerne haben an einer weitgehend unabhängigen Produzentenszene wenig Interesse und sind vor allem an einer durchrationalisierten, ökonomisch kurzfristig profitablen und geschlossenen Wertschöpfungskette interessiert.“ Senderfamilien bzw. die dahinter stehenden Unternehmen geben ihre Aufträge daher lieber gleich an Tochterunternehmen, fast alle in der Branche als Auftragsproduktionen bilanzierten Programme von der Serie bis zum TV-Movie bleiben in Wirklichkeit inhouse.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten stehen dabei den Privaten kaum nach: „Nimmt man die Verflechtungen bei der Distribution, beim Lizenzhandel oder Merchandising hinzu, wird man feststellen, dass von einem ‚dualen Rundfunksystem‘ nur bei naiver formaljouristischer Betrachtungsweise gesprochen werden kann“, so HMR. Den amtlichen Konzentrationswächtern – immerhin leistet sich der nach den USA zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt eine „Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienberich“ – entgeht dies zwar nicht, doch sie können bisher nur streng nach Sendermarktanteilen urteilen.

Einen „jährlichen Produzentenbericht“ und damit eine „Offenlegungspflicht, wer in welchem Umfang bei wem Aufträge erteilt“, fordert dagegen HMR, um wenigstens die bestehende Auftragsvergabe der Sender nachvollziehbar zu machen. Es sei „ein Mythos“, sagt HMR-Gesellschafter Lutz Hachmeister, dass die angeblich unabhängige Produktionswirtschaft vom privaten Fernsehen profitiert habe.

Denn eine im klassischen Sinne mittelständisch-unabhängige Produktionswirtschaft existiert sowieso nur auf dem Papier: Fiktionale Stoffe, Info- und Entertainment-Formate kommen fast ausschließlich von den konzernverbandelten Firmen. Ganz anders der Dokubereich: Hier finden sich neben wenigen großen konzerneigenen Anbietern wie Spiegel TV vor allem Kleinunternehmen. Dabei, sagt Hachmeister, gehe es nicht um Zahlenspiele: „Kreative Ideen, Innovation kommt nun einmal in erster Linie aus kleinen Einheiten.“ Er sieht vor allem die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht, eine leistungsstarke Szenerie von „Independents“ zu pflegen.

Für die wenigen noch bestehenden „kleinen Einheiten“ wird aber selbst die Lobbyarbeit in Zukunft noch schwieriger. Bisher saßen sie wenigstens verbandstechnisch mit den „Großen“ in einem Boot, nun haben die die Nase voll: Am Rande der Berlinale präsentierte sich jetzt „Film 20“, eine höflich als „Interessengemeinschaft“ titulierter Verbund von – bisher jedenfalls nur – 17 Unternehmen, die nach eigenen Angaben untereinander über 70 Prozent der fiktionalen Film- und Fernsehproduktion bestreiten. Diese „schnelle Eingreiftruppe“ (Constantin-Chef Bernd Eichinger im Tagesspiegel) vereint neben den Branchenriesen Bavaria, Studio Hamburg und UFA auch reine Filmproduzenten und Verleiher. In der Branche ergoss sich prompt Spott über die „schnelle Eingreiftruppe ohne Zielgebiet“.

In Konkurrenz zu anderen Verbänden (wie dem Bundesverband der Fernsehproduzenten oder den diversen Organisationen der Spielfilmmacher) stehe man nicht, betont Film 20, das Programm bleibt Berlinale-konform streng auf den Kinofilm bezogen: „Für den deutschen Produzenten, für den deutschen Film, für unser Publikum hier und in aller Welt“, tönt es pathetisch aus dem Pressematerial. De facto geht es aber um Lobbyarbeit in Sachen TV: Hauptdaseinszweck von Film 20 ist laut Eichinger „unbürokratisch und mit lauter Stimme bei den Fernsehsendern“ aufzutreten. Dass sich hier die „Großen“ von den „Kleinen“ absetzen und es bei Film 20 auch wieder um „Familiengefüge“ geht und ums „Paketeplatzieren“, bestätigt auch Alexander Thies, Geschäftsführer der Produktionsfirma NFPtv. „Schön, dass sie für die Produzenten eintreten“, sagt ein anderer Insider zum neuen Verbund, „aber sie gehören überwiegend wieder zu den Konzernen und könnten doch mit Kirch oder Middelhoff direkt sprechen.“

Und nachdem anfangs sogar ARD-Programmchef Günter Struve angeblich im Gespräch war, spricht für Film 20 ab sofort – und passend zur „schnellen Eingreiftruppe“ – Georgia Tornow. Als „General“-Sekretärin.