Säubern! Dringend säubern!

DAS SCHLAGLOCH
von MICHAEL RUTSCHKY

Jede Saison entstehen neue, möglichstgestaltlose Feinde, die politisch schwer zu fassen sind

Warum gerade jetzt? Vielleicht liegt es am Handy. Seit sich diese Geräte endemisch ausbreiten, ist vielen sensiblen Deutschen aufgefallen, dass ihre Sprache nicht nur immer mehr englische Vokabeln aufnimmt, sondern selbst beginnt, englische Vokabeln zu bilden, die kein Engländer kennt oder auch nur versteht. Sprachmedizinisch gesagt: Hier bildet sich unkontrolliert fremdes Gewebe, hier wuchern bösartige Geschwülste. (Bernd Matthies, Der Tagesspiegel, 7. 2. 2001)

Da war ich dem Berliner Innensenator Werthebach richtig dankbar, dass er das Sprachgesetz aufs Tapet brachte – und der Bundestagspräsident Thierse und die Bundestagsvizepräsidentin Vollmer, beide politisch aus dem Lager gegenüber, schlossen sich den Bedenken gegen die Sprachverschmutzung gleich sorgenvoll an.

Letzten Sommer nämlich, als statt „Handy“, „Wellness“, „Dressman“ und ihresgleichen der American Staffordshire, der Dogue de Bordeaux, der Molosser und ihresgleichen die bösartige Geschwulst gaben, die unsere Zivilisation übel bedroht, weshalb sie umgehend zu säubern ist – auf dem Höhepunkt der Säuberungskampagne gegen die Kampfhunde und ihre Liebhaber wagte ich mich ans Prophezeien. Wogegen würde sich die nächste Säuberung richten? Gegen die Anglizismen in der deutschen Sprache, behauptete ich fest, auch wenn K., mein alter Freund Theckel und ihresgleichen grienend die Köpfe schüttelten.

Zunächst behielten sie Recht. Die Stelle der so genannten Kampfhunde nahmen bald die Neonazis ein, die als bösartige Geschwulst vor allem in Ostdeutschland wucherten. Eine kleine Stadt in Sachsen fördert dies Wachstum besonders ausdrücklich, indem sie den Neonazis Gelegenheit gab, einen kleinen Jungen im Freibad zu ertränken. Dann aber erschien kurzfristig diese Verdächtigung der Stadt Sebnitz als die Geschwulst, doch glücklicherweise kam BSE zurück, dann war’s die Uranmunition, und ich lag mit meiner Prophezeiung völlig daneben.

Aber jetzt ist es so weit. Neulich durfte ich in einer Talkshow einem Herrn Krämer zuschauen, der wie ein jüngerer Bruder des Münchner Monumentalfriseurs Rudolph Mooshammer aussieht und dem berühmten „Verein Deutsche Sprache“ angehört, dem schon so viele Mitglieder zuströmten, wie es heißt. Herr Krämer empörte sich über „Handy“, „Wellness“ und ihresgleichen auf dieselbe Manier, auf welche in den Sechzigern die Eltern und Lehrer sich empörten, wenn das Mädel ohne BH herumlief und der Jüngling sich das Haar lang wachsen ließ. Herr Krämer schien in puncto Sprachgebrauch für eine Art Kleiderordnug zu plädieren, die mittels Gesetz und per Bußgeld durchzusetzen wäre.

Das enttäuschte mich. Von dem „Verein Deutsche Sprache“ hatte ich mir fest gemerkt, dass er dem „Tiefenkode“ der deutschen Sprache anhängt, den Anglizismen beschädigen könnten. Grienend schütteln die Experten den Kopf. Doch, doch!

Auf die Sache mit dem „Tiefenkode“ setzte ich deshalb viel Hoffnung, weil sich damit der Parallelfall der Kampfhunde besonders schön hätte auskonstruieren lassen. Der „Tiefenkode“ des Deutschen wird durch die Anglizismen gewissermaßen traumatisiert. So wie die Kinderseele durch das Knurren, eigentlich schon durch den Anblick des Molossers.

Nun, in dieser Hinsicht liegt meine Prognose schief. Es geht um gutes bzw. schlechtes Benehmen; Frau Vollmer steuerte noch die „Ausgrenzung“ bei – ich fühle mich übrigens durch den Wirtschaftsteil der Zeitungen total ausgegrenzt. Wenn ich ihn zu lesen versuche, verstehe ich kaum ein Wort, und dabei betrifft die Wirtschaft unmittelbar mein eigenes Leben!

Aber im Ernst: Seit einiger Zeit kommen regelmäßig mit großer Macht Befürchtungswellen auf, die der Experte als paranoid bezeichnet. Auf vielfältige Weise bedrohen bösartige Geschwülste den Gesellschaftskörper, wobei allein die Variationsbreite, was alles zu einer solchen Geschwulst taugt, verblüfft. Kampfhunde und Anglizismen, BSE und Uranmunition, Kindesmissbrauch und Neonazismus. Gestern war noch Aids dabei, und in regelmäßigen Abständen warnt Prof. Glogauer vor dem Fernsehen: Die Gewaltdarstellungen dort verursachen die Gewalttätigkeit unserer Kinder und Jugendlichen. Was das Handy betrifft, so freue ich mich auf die bösartigen Geschwülste, die es mittels der elektrischen Spannung in unserem Gehirn hervorruft, weil in den USA einschlägige Schadenersatzprozesse begannen.

Als es noch das Rauschgift war (dem unsere Jugend zunehmend verfällt, sodass sie ganz und gar unfähig wird, politische und persönliche Verantwortung zu tragen) vor mehr als zwanzig Jahren, erklärte mir ein alter und erfahrener und nicht unprominenter Medienmann düster und verschwörerisch: Es würde ihn keineswegs verwundern, wenn eines Tages herauskäme, dass die Drogensucht von Moskau gesteuert werde ...

Damals ging’s uns noch gut. Damals war der Feind noch deutlich zu sehen, und mittels mehr-minder subtiler Deutungskünste konnte man ihn als Urheber diverser Zivilisationsschäden erkennbar machen. Auch umgekehrt stand alles bestens: Die Ideologen des Ostblocks wussten alle Störungen und Konflikte im Innern auf die Maßnahmen des äußeren Klassenfeindes zurückzuführen – und nach 1989 hat er ja auf der ganzen Linie gesiegt! Die Unterscheidung zwischen rein und unrein, sagen die Experten, ist kulturanthropologisch grundlegend. Wenn diese Unterscheidung ins Spiel kommt, sind wir mit religiösen Energien befasst. Entsprechend toben die Kämpfe – ich verblüffte mich im letzten Sommer selbst, mit welcher Scharfsicht ich allüberall die Feinde meines Cockerspaniels erkannte.

Uns fehlt ein klares Feindbild, das sagen die Leitartikler ebenso wie die Leserbriefschreiber

Die berühmte Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die der Staatsrechtler Carl Schmitt zum Inbegriff des Politischen erklärte, wahrscheinlich variiert sie bloß die Unterscheidung zwischen rein und unrein, die fortlaufend auf so vielen anderen Feldern als dem politischen getroffen werden muss.

Jedenfalls fiel die Unterscheidung zwischen West und Ost, die so viele Jahre den Inbegriff des Politischen ausmachte, seit 89 fort. „Uns fehlt ein klares Feindbild“, sagen die Leitartikler ebenso wie die Leserbriefschreiber. Dafür entstehen jede Saison neue, möglichst gestaltlose Feinde („bösartige Geschwülste“), die politisch schwer zu fassen sind – weshalb man sie weder richtig bekämpfen noch richtig Frieden mit ihnen schließen kann.

Bleibt das Säubern. Vergangenen Sommer drohte eine Massentötung der so genannten Kampfhunde; jetzt steht die der Rinder an. Das Problem beim Säubern ist, dass es Unmengen Schmutz schafft. Das springt bei den Anglizismen nicht gleich ins Auge. Aber die freudige Wut, die in jener Talkshow mit Werthebach und Herrn Krämer den ehemaligen Dramatiker Rolf Hochhuth erfüllte, als er sich die Auswirkungen eines Sprachreinigungsgesetzes auf Schulkinder ausmalte – was sadistische Lehrer mit dieser Säuberung des jugendlichen Sprachgebrauchs für böses Blut erzeugen können, das war leicht vorzustellen.