fischer in moskau
: Das bequeme Dilemma

Moskau gehört nicht zu den Orten, an denen Joschka Fischer mit Vergnügen verweilt. Berlin hat kein Konzept, wie sich das Verhältnis zu dem schwierigen Nachbarn im Osten gestalten ließe. Das Interesse an Moskau hat unter der rot-grünen Regierung eher noch nachgelassen. Gerade klassische grüne Themen, wie Förderung und Ausbau der zivilen Gesellschaft, spielen in Gesprächen eine nur periphere und deklamatorische Rolle. Gleiches gilt für das Gemetzel russischer Truppen in Tschetschenien. Auch hier lässt nicht nur Kremlchef Putin das schützende Visier herunter.

Kommentarvon KLAUS-HELGE DONATH

Gleichwohl trifft nicht allein Berlin die Schuld an den ausgekühlten Beziehungen. Auch unter dem Deutschland zugetanen Präsidenten Wladimir Putin ist der Kreml für konstruktive Politik nicht allzu empfänglich. Nichts wurde geleistet, um den Ausbau besserer Beziehungen unterhalb der staatlichen Ebene, in Wirtschaft und Gesellschaft, voranzutreiben. Im Gegenteil, der labile Status quo gerät sogar in Gefahr und wird von einer unkontrolliert selbstherrlichen Bürokratie nach Belieben noch unterminiert. Jeder Beamter kann sich bei seinen Störmanövern auf die aufgefrischte Großmacht- und Sicherheitsideologie berufen, mit der Moskau die Deklassierung zur Regionalmacht zu therapieren versucht.

Berlin sind in der Tat die Hände gebunden. Tschetschenien bleibt ein innenpolitisches Problem Russlands. Und je mehr die Deutschen in der Schuldenfrage drängen, desto abweisender könnte Moskau reagieren. Überzogener Druck wirkt kontraproduktiv. Ein Dilemma, das Berlin indes zu Bequemlichkeit verleitet. Berlin wohnt der russischen Gratwanderung zwischen Agonie und schmerzhafter Geburt einer Zivilgesellschaft nur noch als Zaungast bei. Die Möglichkeiten, doch Einfluss zu nehmen, werden nicht ausgelotet.

Mithin steht Moskau stets dann auf dem Fahrplan, wenn es heißt, Schaden zu begrenzen oder Störpotenziale zu taxieren. Wie jetzt im Fall des amerikanischen Vorhabens, ein Raketenabwehrsystem im Weltraum zu errichten, dem die Russen sich vehement widersetzen. Die Mission war beruhigend: Zwischen Drohgebärden und Handlungsbereitschaft klaffen noch Welten.

Fischer begegnet den russischen Qualen mit historischem Verständnis. Russlands Probleme seien komplex und daher nichts für Puristen. Richtig, die Erkenntnis entbindet aber nicht von Engagement. Empathie verlangt ja niemand.

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