Kein Platz für Sisterhoodtümelei

■ Stummer Racheengel: Die Frau mit der 45er Magnum von Abel Ferrara im Zeise

Stadtluft macht frei, so schallt es als urbane Verheißung schon durchs Mittelalter. Doch ihr Versprechen hält die Stadt den Bewohnerinnen gegenüber höchst unterschiedlich ein. Abel Ferrara, unentwegter Chronist von Obsessionen und Gewalt im Mitternachtskino, prüft in Die Frau mit der 45er Magnum die Bewegungsfreiheit ab, die das New York der 80er Jahre seiner Protagonistin gewährt.

Das fällt für Thana (Zoe Tamerlis) zunächst verheerend aus. Thana ist weiblich, stumm und arbeitet als Schneiderin in einem Modeatelier. Bereits im Job den Anzüglichkeiten des Chefs ausgesetzt, eskalieren die Bedrohungen auf dem Heimweg. Die Handkamera nimmt Thanas Perspektive ein, visualisiert das Netz männlicher Blicke und Gesten, ein No-Go-Area, kulminierend in der Vergewaltigung auf den Mülltonnen einer Seitengasse (den Vergewaltiger spielt Abel Ferrara himself).

Die Topographie der Bedrohungen und Übergriffe beschränkt sich nicht aufs öffentliche Draußen, die Straßen der Stadt. Auch im Privaten, im Zuhause lauert die Gefahr, der nächste Vergewaltiger. Keine Sicherheit, nirgends, daheim aber immerhin ein Bügeleisen – treuer Gefährte häuslicher Wärme und Ordentlichkeit, das sich als Verbündeter gewinnen lässt und Vergewaltiger Nr. 2 aus dem Leben befördert.

Fortan ist nichts mehr, wie es war. Und als hätte sie darauf gewartet, wechselt Thana nun die Seite, erobert den Blick und die Waffe. Schon ihr Name kann seine Abkunft vom griechischen „Thanatos“ (Tod) kaum verbergen – und nun folgt sie ihrer offensichtlichen Bestimmung. Der Tote in ihrer Wohnung wird zerstückelt und den Mülltonnen der Stadt zugeführt, später wird ein Fleischwolf die Toten schnauzengerecht machen und Thana den Nachbarshund mästen. Thana passt sich äußerlich dem Männerphantasien entsprungenen Typ der Femme fatale an, sucht die Orte der Stadt auf, die vor allem solche penetranter Freiheit des Phallus sind, und richtet als Die Frau mit der 45er Magnum Männer, die es nicht anders verdienen.

Ferrara wäre nicht Ferrara, würde er in diesem Rape-Revenge-Szenario nicht auch symbolische Ausflüge unternehmen. Die biedere Thana vom Anfang ist in ihrer Stummheit und Angreifbarkeit ein blinder Fleck, quasi Leergut in der symbolischen Ordnung. Aber mit jedem Schuss aus ihrer 45er Magnum formt sie sich nach der Kreatur, die die Männer begehren und imaginieren. Und je mehr Thana sich optisch diesem Geschöpf angleicht, desto wahlloser knallt sie Männer nieder, irgendwann eben nur noch Männer ...

Gleichzeitig entfernt sie sich als „Angel of Vengeance“ (Videotitel) von ihrer Körperlichkeit, und wenn sie schließlich mit Rot-Rot überschminkten Lippen im Nonnenoutfit zum Showdown an Halloween aufläuft, ist das natürlich echt Ferara, aber in diesem Sinne auch konsequent zu Ende bebildert: Die Heilige/Hure findet im Todesengel ihren radikalen Ausdruck.

Die Frau mit der 45er Magnum, Ferraras zweiter Langfilm aus dem Jahre 1981, ist düs-ter, bleibt aber immer nüchtern und beobachtend. Dass er auch, abgesehen von einem kurzen Flashback, auf psychologisierende Erklärungen verzichtet, mag seinem Neo-Noir-Streifen seinerzeit auch das freundliche Zunicken von feministischer Seite eingebracht haben.

Allerdings bietet sich Thana für identifizierende Role-Model-Spielchen nicht gerade an: Zu wahl- und willenlos geraten am Ende die Opfer ins Visier ihrer 45er. Da ist kein Platz für Sisterhoodtümelei, auch wenn Die Frau mit der 45er Magnum über individualiserende Rape-Revenge-Entwürfe hinausgeht. Und auch wenn die immer mehr ins Episodische bröckelnde Story Täterklischees nicht auslässt (Zuhälter sind Schwarze, Gang-Mitglieder Latinos), macht sie immerhin klar, dass die Stadt weder durch die Luft noch die Waffe freier oder sicherer würde. Tim Gallwitz

So + Mo, 22.30 Uhr, Zeise