Die Welt als Misthaufen

„Femalismus“ als peinliche Veranstaltung: Angela Richters Inszenierung Versaut auf Kampnagel kommt zur Sache  ■ Von Annette Stiekele

„Ich glaube, dass man sich auch intelligent vergnügen kann“, sagt die Regisseurin Angela Richter, Jahrgang 1970, auf die Frage, wa-rum es sie zur Theaterregie zog. Spaß muss sein, auch wenn ihre Diplomabschlussarbeit Versaut, die im Rahmen der Reihe Fertig...Los! – Diplom 2001 auf Kampnagel gezeigt wird, alles andere als leichte Unterhaltungskost ist. Denn die Früchte der feministischen Bewegung sind noch lange nicht geerntet. Im Gegenteil, eine neue postfeministische Richtung, der „Femalismus“, greift von den hochglänzenden Frauenzeitschriften aus um sich und stellt sich trotzig dem kämpferischen und mittlerweile äußerst negativ belegten „Latzhosenfeminismus“ entgegen. Der Femalismus propagiert ja bekanntlich nunmehr die cool-moderne Frau, „die Kind und Karriere spielend vereint, super mit Männern klarkommt, ihren Body in Form hält und dazu noch jede Menge Spaß hat“.

Angela Richter würdigt diese Light-Version der Emanzipation keines Blickes, zu affirmativ und unpolitisch kommt sie daher. Für sie steht fest, dass „die männliche Gesellschaft die Welt in einen Misthaufen verwandelt hat“. Bleibt die Frage, was darauf noch wachsen kann. Es herrscht keine Gleichberechtigung, sondern eine Art „Horror der Gleichschaltung“, in der die Frauen nach wie vor von Männern determiniert werden. Geprägt von einer dezidiert politischen Haltung waren Richters Arbeiten immer, zuletzt Der grüne Kakdu. Bericht für meine Akademie in Anlehnung an Schnitzler, das sie beim letztjährigen Nachwuchsfestival Die Wüste lebt! in den Hamburger Kammerspielen zeigte.

In Versaut erzählt sie die bizarre Geschichte einer Frau, die sich langsam in ein Schwein verwandelt, eingebettet in ein düsteres Zukunftsszenario nach dem Ende aller Utopien in einer Gesellschaft, die sich langsam zu einem faschistischen Terror-Regime entwickelt. Erst lebt sie ihr angepasstes, integriertes Dasein, doch angesichts reaktionärer Repressionen entwi-ckelt sie eine eigenwillige Sehnsucht nach Natur. Im Anschluss an ihre Metamorphose lebt sie gemeinsam mit einem männlichen Wildschwein und Frischlingen als Sau im Wald und schreibt ihre Memoiren. Die strotzen nur so von Erfahrungen der desolaten Geschlechterbeziehungen, zeugen von persönlichen und gesellschaftlichen Grausamkeiten bis hin zu Frauen- und Fremdenhass.

Richter bezieht sich inhaltlich im wesentlichen auf den Roman Schweinerei der Französin Marie Darrieussecq und reichert ihn an mit Elementen des SCUM-Mani-festes zur Vernichtung der Männer, ein radikales Pamphlet der Aktivistin Valerie Solanas. Diese erlangte in den 60er Jahren traurige Berühmtheit durch ihr Attentat auf Andy Warhol. Ihre radikalfeministisches Traktat erschien 1968. Statements wie „Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stupfsinn Ä...Ü, daher bleibt den aufgeklärten Ä...Ü Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen Ä...Ü und das männliche Geschlecht zu vernichten“ tragen zwar pathologische Züge, formulieren aber doch in brutaler Eindeutigkeit genaue Beobachtungen. Das wiederum verleiht der Schreiberin eine beträchtliche Glaubwürdigkeit.

Richter schöpft für ihre Inszenierung aus dem illustren Umfeld der linken Künstlergruppe „Akademie Isotrop“, in deren Dunstkreis sich auch die Pudels-Macher Rocko Schamoni, Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, Frank Will von den Sternen und das Künstlerinnenkollektiv „Chicks on Speed“ bewegen und deren Theaterabteilung sie betreut. Richter schwebt eine Mischung aus Performance und popkulturellen Versatzstücken vor, die sich spielerisch auf die schwierige Suche nach einer politischen Haltung, einer neuen positiven weiblichen Utopie, bemüht.

Kein leichtes Unterfangen, denn gleichzeitig gilt es, die 68er-Agitprop-Kultur zu umschiffen und einen großen Bogen um den trendigen „alles ist erlaubt“-Zynismus zu schlagen. Die Szenerie, die sie entwirft, ist entsprechend düster, es gibt nichts mehr zu konsumieren, der Glamour der alten Zeit ist verflogen. Das Licht ist fahl und beleuchtet nur noch den Müll und den schäbigen Beton. Ausgehend davon wird die „Schweinerei“ des Geschlechterkampfes aufgegriffen, werden öffentliche Rollenmuster durchgespielt und die Frage nach einem zeitgemäßen politischen Theater gestellt – und das in jedem Fall unterhaltsam.

Premiere Donnerstag, 19.30 Uhr, Kampnagel, k1. Weitere Vorstellungen: Freitag, Sonnabend, jeweils 19.30 Uhr