Die ägyptische Sissy

■ Neu im Kino: „Ein flüchtiger Zug aus dem Orient“ von R. Beckermann

Wie ein „weiblicher fliegender Holländer“ wollte sie in den letzten zehn Jahren ihres Lebens durch die Welt ziehen, und wenn sie durch die mediterranen Städte flanierte, war ihre „pedestriene Ausdauer“ dabei so ungewöhnlich, dass die Geheimpolizisten forderten, ihr im Wagen folgen zu dürfen. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, war in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts eine ruhelos Reisende geworden, die den Palast floh und die südlichen Länder „in cognito“ besuchte. Nach ihrem 31. Lebensjahr weigerte sie sich, fotografiert zu werden, und so gibt es von der 60-jährigen Sissy kein Bildnis, blieb sie als Ikone ewig jung. „Sie war ein Star, bevor es Stars gab. Wie die Garbo und die Dietrich, und sie sagte als erste „Lasst mich allein !“ So analysiert die Filmemacherin Ruth Beckermann (übrigens mit dem genau passenden österreichischen Zungenschlag) das Phänomen Elisabeth in ihrem Film „Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“.

Zweimal war Elisabeth in Ägypten gewesen, und in dieses am weitesten von Österreich entfernte Reiseziel fuhr ihr die Filmemacherin über hundert Jahre später nach, um dort auf ihren Spuren zu wandeln. Wobei sie an eigentlicher Spurensuche kaum interessiert war. Sie recherchierte nicht etwa jeden Schritt der Kaiserin nach, sondern begnügt sich statt dessen mit verschiedenen Aufzeichnungen und Briefen von Elisabeth, ihrem Mann Franz-Josef und ihren Bediensteten, die in Archiven zu finden waren, und sie ließ in Ägypten ihre Kamera flanieren, um so die Grundstimmung solch einer „Grand Tour“ spürbar zu machen.

„Zeit zu haben ist Luxus“, sagt sie zum Beginn des Films, und beschreibt damit auch ihre Methode, denn Zeit nimmt sie sich reichlich bei ihren Stimmungsbildern. Meist sind es extrem lange Einstellungen, mit denen sie uns durch einen Bazar schleust oder über eine Brücke fahren lässt. Fünfeinhalb Minuten dauert etwa der Blick der Kamera aus dem fahrenden Auto auf eine Straße in Kairo. Ruth Beckermann zwingt uns förmlich, mitzuflanieren, und sie filmt bewusst Unspektakuläres. Nicht die Pyramiden sondern Vorstadtsiedlungen, nicht das touristische Ägypten sondern die Nebenstraßen. Dabei entkommt sie natürlich doch dem touristischen Blick nicht, wie sie auch selber im Off-Kommentar zugibt.

Der ist oft eifrigst selbstreferenziell, und das kann dann schon etwas auf die Nerven gehen. Die Auskünfte und Thesen über Elisabeth, ihre Reisen und ihren Mythos sind nämlich im Film zwar interessant, aber eher mager gestreut. Mindestens genauso viel erzählt uns Ruth Beckermann über ihre eigenen Befindlichkeiten, ihr Selbstverständnis als Filmemacherin, den Film, den wir gerade sehen. Das geht soweit, dass sie selber den langen „tracking shot“ in Frage stellt, den wir just auf der Leinwand ansehen müssen. Ennui mag zum flanieren dazuzugehören, und Ruth Beckermann will uns vielleicht gerade Langeweile und Überdruss als die Grundstimmungen der ägyptischen Elisabeth nahebringen, aber das ist im Kino immer ein gefährliches Pflaster, denn wer von der Langeweile erzählt, wird dabei selber schnell langweilig.

Wilfried Hippen

Von Do bis Di um 18.30 Uhr im Kino 46