Die gekaufte Macht

aus Bangkok JUTTA LIETSCH

Lange hat man in Asien die allgegenwärtige Korruption in Kauf genommen. Rund ein Drittel aller öffentlichen Investitionen dort verschwinden durch Vetternwirtschaft, Unterschlagungen und Bestechungen in privaten Taschen, schätzt die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). Doch zum einen war es bislang in vielen Ländern zu gefährlich, die kriminellen Politiker und ihre Geschäftsfreunde anzuprangern, zum anderen gab es nicht nur Opfer der Korruption. Viele Bürger profitierten auch.

Zum Beispiel Indonesien: Jeder wusste, dass der Suharto-Clan diebisch war wie ein Schwarm Elstern, doch er bot auch Hoffnung auf bescheidenen Wohlstand und Bildung. Das änderte sich erst mit der Asienkrise 1997, die Millionen Indonesier wieder in die Not zurückgestoßen hat. Der Protest gegen korupsi, kolusi dan nepotisme (Korruption, Filz und Vetternwirtschaft) einte die zersplitterte Opposition.

Auch der neue thailändische Premier Thaksin Shinawatra hat sein Milliardenvermögen mit Sicherheit nicht ehrlich verdient. Er kaufte sich eine Partei, um seine Unternehmen vor Angriffen zu schützen. Das ist bekannt. Doch er versprach auch den Armen Schuldenerlass, der Mittelschicht neue Jobs und den lokalen Unternehmern leichteren Zugang zu Krediten – er wurde gewählt.

Auch in China hat mancher Bürger der Hafenstadt Xiamen nichts gegen den Schmuggelkönig Lai, der die ganze Region in den Korruptionssumpf gezogen hat. Hat er nicht auch Kindergärten und Altersheime gebaut? Und hat er der Stadt nicht einen ganzen Fußballklub gekauft? Lai kämpft zurzeit im kanadischen Gefängnis verzweifelt gegen seine Auslieferung an China.

Die Toleranz sinkt

Die Ursachen sind überall die gleichen: eine riesige Kluft zwischen Arm und Reich, unterbezahlte Beamte und Politiker, autoritäre Machtstrukturen, käufliche Richter, eine unheilige Allianz zwischen Politik und Wirtschaft. Dennoch geraten in Asien immer mehr Regierungen unter Druck. Denn viele Länder sind in den letzten Jahren demokratischer geworden, die Presse freier, und selbst unter autoritären Regierungen können sich schon viele Leute im Internet informieren. „Die Toleranz“, sagt der Indonesier Agus Purnomo von „Transparency International“ in der Washington Post, „ist im Vergleich zu früheren Jahren stark gesunken.“

Das hat Folgen. In China bröckelt inzwischen wegen der zunehmenden Korruption die Glaubwürdigkeit der KP, und in Thailand könnte der jüngst mit großer Mehrheit gewählte Thaksin wegen seiner Machenschaften noch scheitern. Auf den Philippinen stürzte Präsident Joseph Estrada, und in Indonesien droht Regierungschef Abdurrahman Wahid wegen dubioser Geldüberweisungen ein Verfahren, das ihn sein Amt kosten könnte.

Doch der Kampf gegen Korruption ist keineswegs nur ein Zeichen für mehr Demokratie und wachsendes Unrechtsbewusstsein der Öffentlichkeit. Er ist längst zur Waffe im Machtkampf innerhalb alter politischer Eliten geworden. Und dabei haben die Kritiker mitnichten immer weißere Westen als die angegriffenen Politiker Das ist in Indonesien nicht anders als auf den Philippinen, in China oder Vietnam. Jüngstes Beispiel sind die dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen in Jakarta. Dort könnte Präsident Wahid über Skandale stolpern, in die sein Masseur – und Exgeschäftspartner – und der Sultan von Brunei verwickelt sind. Der schillernde Masseur hat im Namen des Präsidenten rund 8 Millionen Mark öffentlicher Gelder erschwindelt. Eine Spende des Sultans über rund 4 Millionen Mark, die zur Hilfe für die Provinz Aceh gedacht war, dümpelt offenbar auf irgendwelchen Konten von Wahids politischen Freunden oder seiner Partei.

Als das indonesische Parlament mit großer Mehrheit entschied, dass der widerspenstige Regierungschef öffentlich Rechenschaft ablegen muss, schien dies ein Sieg der jungen Demokratie weniger als drei Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur zu sein. Doch die Ironie der Geschichte ist nicht zu ignorieren: Viele der empörten Ankläger Wahids im Parlament stehen kaum besser da als er. Die Golkar-Partei zum Beispiel, die aus den letzten Wahlen als zweitgrößte Fraktion hervorging, hat noch vor kurzem willfährig dem korrupten Suharto-Clan gedient. Keiner ihrer Abgeordneten demonstriert auf der Straße dafür, dass die Familie für ihre Habgier bestraft werden muss, keiner fordert lautstark von der Polizei, den bereits zu Gefängnis verurteilten Suharto-Sohn Tommy endlich festzunehmen. Im Vergleich zu den Summen, die zu Suhartos Zeiten abgezweigt wurden, geht es derzeit um Peanuts. Aber durch seinen selbstherrlichen Regierungsstil hat Wahid fast alle Verbündeten in den anderen Parteien verloren. Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri schart inzwischen still die Gegner Wahids – darunter wichtige Militärs und ehemalige Suharto-Leute – um sich und bereitet sich auf den Sprung an die Macht vor. So könnte der indonesische Präsident ein ähnliches politisches Schicksal erleiden wie sein philippinischer Kollege Estrada, der gerade aus dem Regierungspalast von Manila verjagt wurde.

Estrada, der sich schamlos persönlich bereichert hat, sitzt inzwischen in seiner Villa in Manila. Er droht mit Verfassungsklage und will auf diese Weise seine Haut und seine Konten retten. Wenn er den Fernseher einschaltet, sieht er die Frau, die ihn beim Kampf um die Macht besiegt hat: Gloria Macapagal Arroyo. Um sie herum stehen Politiker und Geschäftsleute, die selbst in Korruptionsskandale verwickelt sind und waren.

Dass Estrada in einem friedlichen Aufstand erzürnter Bürger fiel, ist nur die halbe Wahrheit. Einer der Berater der neuen Präsidentin, der Politikprofessor Alex Magno, hat im Asian Wall Street Journal beschrieben, wie der Sturz Estradas inszeniert wurde: mit Hilfe von Handy und Internet, von „Gleichgesinnten“ aus der Geschäftswelt, Berufsverbänden, Gewerkschaften, Bürgergruppen, Armee- und Polizeikorps. Nur „als Zugeständnis an die Tradition“ habe man „reale Menschen“ gebraucht, die „sich tatsächlich in großen Mengen versammelten und durch die Straße liefen“.

Aufräumen mit Ausnahmen

Anti-Korruptions-Kampagnen als politische Waffe zu nutzen, ist in China und Vietnam nicht weniger aktuell. Anders als in den jungen Demokratien wie Indonesien oder auf den Philippinen sind aber Straßenproteste keineswegs erwünscht. Die KP in Peking braucht keine „Tiananmen-Akte“, um sich daran zu erinnern, dass die Studenten im Frühjahr 1989 nicht von vornherein Demokratie forderten. Anfangs hatten sie sich vielmehr lautstark über die privilegierten Sprösslinge der kommunistischen Nomenklatura beklagt. In beiden Ländern werden heute – als Beweis, dass die Regierung das Problem ernst nimmt – korrupte Funktionäre verhaftet, manche hingerichtet. Sogar der stellvertretende Pekinger Parlamentsvorsitzende musste sterben. Doch den tiefen Zorn ihrer Untertanen können weder die vietnamesische noch die chinesische Führung besänftigen: Bislang werden die Familien der wichtigsten Kader nicht angetastet.

Allerdings hilft die Anti-Korruptions-Kampagne der Bevölkerung in beiden Ländern inzwischen dabei, herauszufinden, wer gegen wen steht. In der chinesischen KP-Spitze haben die Kämpfe um die Nachfolge von Parteichef Jiang Zemin, Regierungschef Zhu Rongji und Parlamentschef Li Peng, die im kommenden Jahr abtreten werden, längst begonnen. Wer die größten Chancen hat, ihre Nachfolger zu werden, wird wie in alten Zeiten intrigenreich hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Dabei zieht so mancher Kandidat die Korruptionsakte: Gespannt beobachten die Chinesen dieser Tage etwa die Vorwürfe gegen Mitarbeiter des staatlichen Energieunternehmens, das zur Seilschaft von Li Peng – der Nummer zwei in der Parteihierarchie – gerechnet wird. Manager aus dem Umfeld seiner Tochter und seines Sohnes sollen üppige Schmiergelder von ausländischen und chinesischen Firmen angenommen haben. Fahnder der parteiinternen Disziplinarkommission durchforsten derzeit die Bücher des Konzerns, der für die lukrativen Aufträge zum Bau von Kraftwerken verantwortlich ist. Aha, sagen sich deshalb die Deuter der Machtspiele in Peking, jetzt sinkt der Stern der konservativen Kräfte um Li Peng, jetzt sind also die Reformer um Premier Zhu obenauf!

Die Bedingungen für den Sieg über die Korruption in Asien nennt der betagte malaysische Korruptionsforscher Syed Alatas voraus: Wenn Politiker und ihre Familien, Funktionäre und ihre Mittelsmänner, Geschäftsleute und ihre Handlanger sich endlich für die „Armut, die Ausbeutung, die Gefühllosigkeit und die Doppelmoral schämen“.