Normale gehen zum Fitness

In Bob Fosses Emanzipationsdrama „Julie Johnson“ (Panorama) entwickelt sich ein Suburbia-Heimchen zum lesbischen Computercrack. Alles sehr bewegend das, aber auch verdammt vorhersehbar, dämlich und bieder

von CRISTINA NORD

Hoboken, New Jersey, ist ganz in der Nähe von New York City, und doch liegen Welten zwischen den beiden Orten. Denn die Grenze zwischen Suburbia und Metropole lässt sich nicht ohne weiteres passieren. Mit „Julie Johnson“ schickt uns der Regisseur Bob Gosse mitten hinein ins Barbecue der Familie Johnson, und sofort ist klar, auf welcher Seite der Demarkation wir gelandet sind.

Die Vorstadt also. Brutal ist sie: Die Frau (Lily Taylor) steht in der Küche und rührt und räumt und wirbelt, der Mann sitzt im Garten neben seinen Freunden, dreht ab und zu das Fleisch auf dem Grill, macht Witze und brüllt, dass Julie jetzt endlich mit dem Bier anrücken solle. Das bringt die Frau in der Küche umso mehr aus dem Takt. Derweil sitzt Claire (Courtney Love) schon bei den Männern und präsentiert ein beeindruckendes Dekolletee.

Die Machtverhältnisse sind geklärt. Er hat das Sagen, und sie lehnt sich hinter seinem Rücken auf. Etwa indem sie Wissenschaftsmagazine liest, die sie in den Küchenschränken versteckt hält wie Schmuggelware. Die Frau hat nämlich einen Wissensdurst, der in ihrer Suburbia-Ehe nicht gefördert wird. Als sie einen Computerkurs besuchen möchte, verbietet es ihr der Mann. Warum? „Weil ich es gesagt habe.“ Das klingt nach einem Setting aus den 70ern, spielt aber heute.

Julie greift trotzdem nach den Sternen, ganz buchstäblich: Die erste und die letzte Einstellung verliert sich im Nachthimmel. Und natürlich ist diese Geschichte – sich zu bilden und voranzukommen gegen den Willen derer, die einen in der Unmündigkeit halten wollen –, nun, diese Geschichte ist bewegend und sehr amerikanisch. Er wolle zeigen, „wie die kleinen Dinge alles ändern können“, sagt der Professor im Computerkurs, und Julies Augen fangen an zu leuchten. Wir befinden uns im Reich der Sentenzen. Hier geht jeder Satz direkt ins Herz.

Einer Bekannten im Supermarkt sagen Julie und Claire: „Wir wollen unser Leben verbessern.“ Da haben sie ihre Männer rausgeworfen, sind zusammengezogen, und miteinander geschlafen haben sie auch schon. Ohne die Abscheu zu verbergen, erwidert die Bekannte: „Normale Menschen gehen deshalb ins Fitnessstudio.“ Dumm sind die Menschen in Suburbia, das ahnten wir schon.

Julie entpuppt sich als IT-Crack. War es vorher ihr Mann, der, wenn sie Wissenschaftssendungen schaute im Fernsehen, zum Sportkanal zappte, so ist jetzt sie es, die die Quizshow ab- und die Wissenschaftssendung einschaltet. Ohne Claire zu fragen, versteht sich. Kaum kompliziert sich die junge Liebe, lernt Julie Chaostheorie und nervt alle, die ihr begegnen, mit langen Vorträgen. Spätestens jetzt wäre interessant zu erfahren, was Lily Taylor an dieser doch sehr eindimensionalen Darstellung eines Genies interessiert haben könnte.

„Julie Johnson“ ist ein sehr konventionelles Stück Kino. Immerhin: Das emanzipierte Dasein wird nicht so weit verklärt, dass man meint, Julie habe ihr Glück gefunden. Gosse löst seinen Film nicht in einem gefälligen Ende auf, und das ist schon etwas. Der Rest ist Mainstream, langweilig, vorhersehbar, von einem Konflikt zehrend, dem sich in dieser Form keine Plausibilität mehr abgewinnen lässt. Ob Bob Gosse schon einmal von Women's Lib gehört hat?

Was bleibt, sind die Gesichter. Courtney Love hat eins und Lily Taylor auch. Diese Falten, diese Lippen, diese Nasen, diese Augen: eine Plastizität, die die Glattheit anderer weiblicher Gesichter Hollywoods auf großartige Weise hinter sich lässt. Das, und nur das, rettet „Julie Johnson“ vor dem Absturz in die Biederkeit.

„Julie Johnson“, Regie: Bob Gosse, USA, 99 Min.