Trotz Requiems keine Ruhe

In der Katholischen Akademie beteten Gläubige für die Seelen der gehäuteten und anonymisierten Leiber der Ausstellung „Körperwelten“. Körperspender fühlen sich durch die Totenmesse entmündigt

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Eine halbe Stunde vor Beginn des Requiems für die Toten der Ausstellung „Körperwelten“ fährt ein Bus vor der Katholischen Akademie in der Hannoverschen Straße in Mitte vor. Beklebt ist er mit riesigen Bildern der plastinierten Toten, für deren Seelen die Kirche beten will. Dem Bus entsteigt etwa ein Dutzend Männer und Frauen, allesamt Mitglieder des „Bundesverbandes der Körperspender e.V.“ Lange vor ihrem Tod haben sie ihre Körper dem Heidelberger Institut für Plastination zur Konservierung vermacht – als Ganzkörperplastinat oder in Scheiben geschnitten. Mit dabei haben sie Transparente, auf denen steht „Keine Entmündigung durch die Kirche“, „Körperspende ist keine Sünde“ oder „Ein Requiem für Ramses und Ötzi“. In ihrem Flugblatt werfen sie der Kirche einen „unziemlichen Übergriff“, einen „Akt vorsorglicher Entmündigung“ und „arrogante Geringschätzung der individuellen Wahl der Bestattungsform“ vor.

Drei Polizisten sind am Mittwochabend dafür eingesetzt, um im Notfall zwischen Protestierenden und Betenden zu vermitteln. Doch das ist nicht nötig. Die Vorwürfe der „Entwürdigung“ und „Pietätlosigkeit“, mit denen sich beide Seiten überziehen, werden lediglich auf dem Papier formuliert. Nur ein 78-jähriger Akademiker im Ruhestand zerreißt ein Flugblatt der Körperspender. „Der Mensch ist kein Objekt des Begaffens“, sagt er. Selbst primitive Völker „machen Beerdigungen mit höchster Würde“. „Dann kann man Tote auch zu Hundefutter verwerten“, schimpft er.

Einer der Körperspender ist eigens aus Thüringen angereist. Er ist 85 Jahre alt und hat sich aus zwei Gründen der Wissenschaft verschrieben: Wegen der Ausstellung „Körperwelten“, die er bereits in Mannheim gesehen hat, und wegen seiner „Dankbarkeit“ dafür, den Krieg und viel Elend überlebt zu haben. Was mit ihm nach seinem Ableben gemacht wird, ist ihm egal. Hauptsache, nicht von Würmern gefressen werden. Doch es würde ihn freuen, wenn sein Körper – „Ich rauche nicht und trinke keinen Wein und keinen Kaffee“ – zur Darstellung gesunder Lebensweise verwendet werden würde. Stolz erzählt er, dass auch seine fünf Kinder seinem Beispiel folgen wollen und dass diese wiederum zwölf Kinder haben.

Trotzdem sind die Körperspender eindeutig in der Minderheit. Etwa 500 Menschen sitzen und stehen in dem sechs Meter hohen Auditorium der Akademiekirche St. Thomas von Aquin. Dazu gehören eifrige Kirchgänger, gelegentliche Messebesucher und auch einige Herren der Katholischen Deutschen Studentenverbindung „Borusso-Saxonia“. Eine Mischung, die nicht allen gefällt. „Da möchte man doch gleich wieder gehen“, sagt eine 52-jährige Pädagogin, als sie die sechs Männer mit ihren schwarzen Anzügen und rot-weiß-schwarzen Mützen sieht.

Der Direktor der katholischen Akademie, Ernst Pulsfort, betont in seiner Predigt, dass es nicht darum gehe, die Verstorbenen „christlich zu vergewaltigen“. Die Toten hätten zu Lebzeiten entschieden, sich als Körperspender zur Verfügung zu stellen. Das werde von der Kirche respektiert. Das Requiem sei vielmehr ein Bekenntnis zur universalen Auferweckung der toten und Ausdruck des Glaubens an die Gerechtigkeit Gottes, die allen Menschen zuteil werde.

Pulsfort kritisiert jedoch die Form der Individualisierung, die nur die Bewältigung des Augenblicks kenne. „Deshalb hat sie etwas Gefährliches, Totalitäres und Kurzsichtiges“. Das „Abschreckende“ der Ausstellung sei, dass sie keine Kritik ernsthaft annehme. „Die Ausstellung ist nicht so aufklärerisch, wie die Initiatoren weismachen wollen.“ Statt aufzuklären, verenge sie den Blick des Betrachters auf das reine Fleisch, das in Szene gesetzt werde. „Wir sind viel mehr als anatomische Wunderwerke.“

Etwas Gutes jedoch hat die Ausstellung, die mit der „Faszination des Echten“ Millionen Besucher anzieht, auch für die Kirche. Sie ist ihr „ein guter Anlass“, im Rahmen eines ökumenischen Programms „Mein Leib – Körperwelten in christlicher Wahrnehmung“ während der Dauer der Ausstellung „Körperwelten“ existenzielle Fragen nach dem Tod und dem Umgang mit dem Sterben zu diskutieren. So sollen beispielsweise evangelische und katholische ReligionslehrerInnen der Berliner und Brandenburger Oberschulen in Seminaren auf eine Religionsunterrichtseinheit zu der umstrittenen Ausstellung vorbereitet werden. Eindrücke, die Schüler bei einem möglichen Ausstellungsbesuch gemacht haben, sollen dann „im Spiegel des christlichen Menschenbildes aufgearbeitet“ werden.