„Schau, da stehe ich“

Der 18-jährige Thomas Hitzlsperger ist vom FC Bayern München zu Aston Villa gewechselt. Dort kann zwar kaum jemand seinen Namen richtig aussprechen, dafür aber darf er bei den Profis mitspielen

aus Birmingham RONALD RENG

Einen Namen hat sich Thomas Hitzlsperger bei Aston Villa schon gemacht – nur aussprechen kann ihn kaum jemand. Für die Nummer 31, Illoyd Samuel, komme Nummer 21, Thomas Hitzburger, ins Spiel, verkündete der Stadionsprecher unlängst beim Match der englischen Premier League zwischen dem Birminghamer Klub und dem FC Liverpool. Ein paar Minuten später hatten die Villa-Fans die erste Gelegenheit, sich in Sprechchören am unaussprechlichen Namen zu versuchen: Mit einer astreinen Grätsche beförderte Hitzlsperger den Ball samt Gegenspieler Vladimir Smicer ins Seitenaus, so etwas liebt das englische Publikum. Doch noch blieben die Hitzburger-Rufe aus. Villa, Tabellendreizehnter derzeit, lag 0:3 im Rückstand, die Stimmung war im Eimer. „Nur meine Freundin hat gejubelt“, sagt Hitzlsperger.

Anders als die Mehrheit des Publikums wusste sie um die Bedeutung des Moments. Die letzten acht Spielminuten gegen Liverpool waren für den 18-jährigen Jugend-Nationalspieler die ersten im Profifußball. Als erster von sechs deutschen Teenagern, die derzeit ihre Ausbildung bei englischen Vereinen absolvieren, schaffte er es in die Premier League; obwohl er vom Alter noch in die Jugendelf gehört.

Hitzlspergers Aufstieg bringt die deutschen Clubs in Erklärungsnot. Hatten sie nicht geklagt, es gebe kaum noch deutsche Talente? Und dann warben ausländische Spitzenklubs Nachwuchskräfte in halber Mannschaftsstärke ab. Gleichzeitig mit Hitzlsperger, der von Bayern München zu Villa kam, verpflichtete der FC Chelsea Sebastian Kneißl, 17, von Eintracht Frankfurt sowie Robert Huth, 16, von Union Berlin. Hitzlspergers Schnupperkurs im Villa-Trikot nährt den Verdacht, dass sie einen guten Grund für ihren Umzug hatten: Jungen Spielern in England wird der Aufstieg ins Profiteam leichter gemacht als in der Bundesliga.

Irgendwann in den 90er-Jahren, als es Otto Rehhagel mit seiner Marschroute „Trau keinem Spieler unter 30“ zum erfolgreichsten deutschen Trainer brachte, ging der Mut verschütt, jungen Kräften eine Chance zu geben. Erst in dieser Saison gelangten wieder mehr Talente in die Bundesliga, 20-Jährige wie Christoph Metzelder (Dortmund) und Owen Heargraves bei Bayern München. Doch es sind noch immer gefeierte Ausnahmen. Hargreaves ist seit fünf Jahren der Erste, der beim deutschen Meister den Sprung aus der Jugend schaffte. Beim englischen Meister Manchester United dagegen kommen derzeit acht Spieler aus der eigenen Schule regelmäßig zum Einsatz. Seit United 1995/96 mit dem 20-jährigen David Beckham sowie vier Altersgenossen Meister wurde, gilt es in England als geradezu hip, Teenager herauszubringen.

„Schau, da stehe ich“, sagt Thomas Hitzlsperger im Trainingszentrum Bodymoor Heath und zeigt auf einen weißen Zettel am schwarzen Brett. „Spieler für das heutige Training der ersten Mannschaft“, hat Villa-Trainer John Gregory mit Bleistift darauf geschrieben und als sechzehnten: Tomas. Selbst den Vornamen kriegen sie noch nicht richtig hin. Aber vom ersten Tag an ließ Gregory den linken Verteidiger mit dem kräftigen Schuss bei den Profis trainieren. „Das ist das Entscheidende“, sagt Hitzlsperger, „hier bist du viel näher an den Profis dran.“ Bisher spielte er in der Reserveelf, nun will Gregory ihn immer mal wieder in der Premier League einwechseln. Und Hitzlsperger ist mittlerweile „nicht mehr jeden Tag überrascht, dass die Profis hier ganz normal mit mir reden“.

Vor einem halben Jahr musste er noch seinen ganzen Mut zusammennehmen, um beim FC Bayern Europameister Markus Babbel anzusprechen. Schüchtern fragte Hitzlsperger um Rat: Er habe da dieses Angebot aus England. Babbel hatte sich bei Bayern von der D-Jugend zum 51-maligen Nationalspieler hochgearbeitet, aber er konnte sich eine vergleichbare Karriere heute nur schwer vorstellen. „Ich habe Thomas gesagt, dass es wahrscheinlich richtig ist zu gehen. Bei Bayern aus der Jugend zu den Profis zu kommen, ist utopisch.“

Dabei haben die Bundesligisten, gerade Bayern oder Werder Bremen, ihre Jugendausbildung zuletzt enorm verbessert. Zu oft jedoch schickt man die gut ausgebildeten 18- und 19-Jährigen erst einmal in die Amateurelf. Und vergisst, dass wahre Talente an der Herausforderung wachsen. Im Privatgespräch gibt selbst ein sportlicher Leiter des FC Bayern zu, dass Hitzlspergers Weggang für dessen Entwicklung nicht das Schlechteste war. Wobei sie sich in München immer noch wundern, dass ausgerechnet Hitzlsperger ging, siebtes Kind eines Landwirts aus Forstinning, im Verein seit der F-Jugend, bescheiden, höflich, zurückhaltend. Sie glaubten, so einer bliebe für immer.

Er habe Bayern doch nicht verlassen, um jemanden zu ärgern, sagt Hitzlsperger leise. Sein Traum sei immer noch derselbe: ein Star beim FC Bayern zu werden. Deshalb ist er vom FC Bayern weggegangen. „Ich will mich in England als Profi etablieren – und dann ruft hoffentlich irgendwann Bayern an und sagt: Willst du nicht zurückkommen?“.