Schwimmende Schöpfer

Der Autor ist tot? Es lebe der Autor! Der Frankfurter Mousonturm arbeitet an der subversiven Kraft vernetzter Urheber-Subsysteme und behauptet eine Renaissance des Autorbegriffs im Tanztheater

von FALK SCHREIBER

„Ich bin“, sagt Jérôme Bel, „Jérôme Bel.“ Ist ja schon bemerkenswert, in diesen Zeiten, wenn da jemand überhaupt Zuschreibungen vornimmt. „Ich bin“ – auch wenn er in der Folge wenig macht, seine Uhr stellt und eine Minute wartet, bis er wieder von der Bühne geht.

In Jérôme Bels „The last performance“, uraufgeführt 1999 und bis heute erfolgreich auf Tour, ist das Selbst brüchig geworden. Der Darsteller identifiziert sich zwar zu Beginn mit dem Autor, tritt dann aber im Tennisdress auf, um mit der gleichen Selbstverständlichkeit die Worte „Ich bin André Agassi“ zu sprechen und ein paar Bälle gegen die Wand zu dreschen. Und schließlich, im Tutu: „Ich bin Susanne Linke.“ Worauf eine Passage aus Linkes Choreografie „Wandlung“ (1978) folgt. Um kurz darauf konterkariert zu werden: „Ich bin nicht Jérôme Bel.“ – „Ich bin nicht André Agassi.“ – „Ich bin nicht Susanne Linke.“ Das Selbst ist unsicher, die Darstellung das Zitat einer zwanzig Jahre alten Vorgabe.

Das Verschwinden des Autors ist ein Allgemeinplatz in Literaturwissenschaft und Philosophie seit Foucaults „Qu’est-ce qu’un auteur?“ und Barthes’ „Mort de l’auteur“, im Theater spätestens seit Hans-Thies Lehmanns spätdekonstruktivistischen Analysen einer postdramatischen Bühnensprache. Nur das Nachdenken über diesen Begriff wurde noch nicht aufgegeben. Der Frankfurter Mousonturm hat in der jüngsten Staffel seiner „Solo-Duo“-Reihe fünf Stücke eingeladen, die sich überraschend eindeutig mit diesem vorgeblich abgemeldeten Akteur auseinander setzen: „The princess project“ und „Three solos for Vincent“ von Vincent Dunoyer, „Another dream“ von Raimund Hoghe, „Sweet“ von Charlotte Engelkes und „Xavier Le Roi“ von Jérôme Bel.

Einen eher traditionellen Autorbegriff konstruiert Hoghe: Biografische Daten werden in „Another dream“ zum Ausgangsmaterial einer stark ritualisierten Handlung, die am Ende in die Konstruktion des Autor-Subjekts mündet. Das Träumen immerhin, das in „Another dream“ nicht nur im Titel genannt wird, sondern auch zentrales Moment der Performance ist, kann man durchaus als ursprüngliches Hervorbringen von Erzählungen verstehen.

Im Vergleich mit Hoghes zutiefst ernsthaftem, auch schmerzhaft intimem Ausloten des Selbst bleibt Engelkes mit ihrem im Herbst am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführten Solo „Sweet“ auf den ersten Blick distanziert. Das Stück, das in Rezensionen gern in die Nähe der Stand-up-Comedy gerückt wurde, basiert zwar auch auf einer an biografischen Fixpunkten orientierten Erzählung, entzaubert diese jedoch von Anfang an als „gemacht“. Menschen sitzen im Fahrstuhl fest und erzählen sich „ihre Geschichte“. Engelkes erzählt ihre als Frau des Regisseurs. Der Zugang zum Selbst bleibt als Frage im Raum stehen: In „Sweet“ geht es auch um das Verhältnis zwischen schöpferischer und interpretierender Kunst, also um das Verhältnis zwischen Autorschaft und Auslegung.

Theoretischer ist die Auseinandersetzung bei Dunoyer. In „Three Solos for Vincent“ zitiert der französische Tänzer ursprünglich nicht für ihn geschaffene Arbeiten Ann Teresa de Keersmaekers („Solo for Vincent“), der Wooster Group („Dances with TV and Mic“) und Steve Paxtons („Carbon“), aber das Zitat bleibt immer rückführbar auf den Urheber. Eine Mischung aus, so Florian Malzacher in der Frankfurter Rundschau, „Imitation, Reflexion, Hommage, Kommentar und Rekontextualisierung“.

Für diese Rückführung braucht es Vertrauen auf den schöpferischen Autor, gleichzeitig aber auch die Abgeklärtheit, diesen Autorbegriff mit allen Konsequenzen als Urheberschaft anzuerkennen und dennoch die Arbeiten als „Solos for Vincent“ zu bezeichnen.

Noch eindeutiger ist da Bel. Seine jüngste Produktion „Xavier Le Roi“ ist als „Stück von Jérôme Bel“ bezeichnet, für die Konzeption zeichnet aber der Choreograf Xavier Le Roi verantwortlich, der das Stück im Auftrag und nach der Ästhetik Bels mit zwei Tänzerinnen erarbeitete. „Meine Idee war, nichts zu tun, Sklave zu sein – Wahnsinn als Ausweg aus der Macht“, kommentiert Bel diese Vorgehensweise. Der Rückgriff auf den Autor (Bel) ist hier immer noch möglich, aber das wichtigste Attribut hat das schöpferische Selbst freiwillig aus der Hand gegeben: seine Autonomie, seine Macht. Macht, die sich hier nur noch in ihrer freiwilligen Aufgabe zeigt.

Für Christine Peters, künstlerische Leiterin des Mousonturmes, zeigt sich in dieser umgewidmeten Macht eine subversive Kraft des wiederentdeckten Autors im Sinne eines Kollektivs. Untereinander vernetzte Subsysteme könnten sich so bilden, die durch ihre Komplexität eine Alternative zu den Zwängen künstlerischer Produktion bilden könnten. Die Problematik solcher Subsysteme ist auch Peters klar: die Begriffe Autor, Urheber und Interpret werden ins Schwimmen geraten. „Das starke Label des Künstlers muss mitunter hinter das Label des Urhebers zurücktreten“, so Peters in der dänischen Tanzzeitschrift Terpsichore.

Der Erforschung dieser Problematik aber wird sich der Mousonturm weiterhin widmen – mit Reihen wie „Solo-Duo“, aber auch mit verwandten Künstlern, Peters nennt hier Tom Plischke, Meg Stuart oder Jonathan Burrows, für die das Künstlerhaus in der Frankfurter Waldschmidtstraße sowohl Aufführungsort als auch Basislager sein soll.