Praxisnäher programmiert

von HEIDE OESTREICH

Wenn meine Mutter mir eine Nachricht zukommen lassen will und mich am Telefon nicht erreicht, schickt sie neuerdings ein Fax. Handgeschrieben wie ein Brief kommen die neuesten Informationen über Kinder von Verwandten und Hochzeiten von Bekannten aus dem Faxgerät. Meine Mutter hat die neuen Kommunikationstechniken entdeckt. Teilweise. Eine E-Mail, die mich auch im Büro erreichen könnte, schickt sie nicht: „Nein, da gehe ich nicht ran“, sagt meine Mutter, und man hört förmlich durchs Telefon, wie sie sich schüttelt. Der Computer steht im Keller, im Arbeitsraum meines Vaters, die E-Mail-Adresse trägt selbstverständlich seinen Namen.

Ein typischer Fall von Frauen und Kommunikationstechnologie? Seit Jahren wollen Frauenpolitikerinnen, dass Frauen sich umorientieren. Die Grünen widmen an diesem Wochenende ihre Bundesfrauenkonferenz dem Thema „fem@il the future“. Strategien sollen entworfen werden, damit die Informationsgesellschaft der Zukunft keine Männergesellschaft wird, in der Frauen auf schlecht bezahlten Telearbeitsplätzen landen. Denn die Damen sind zögerlich. Jungs spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen. Eine quasi biologische Abwehr der Frauen gegen Technik? Doch mittlerweile hat sich auch in den Schulen herumgesprochen, dass Mädchen durchaus für Mathe und Technik zu begeistern sind, wenn ihnen nicht jedesmal ein vorlauter Junge Maus und Tastatur vor der Nase wegschnappt. In reinen Mädchenklassen nämlich fanden die Schülerinnen plötzlich Spaß an der Technik.

Warum aber strömen Frauen immer noch nicht auf die begehrten Arbeitsplätze in der IT-Branche? Beim Informatikstudium etwa befinden sich Frauen auf dem Rückzug: Waren 1980, als die Disziplin noch jung war, noch ein Fünftel der StudentInnen weiblich, so sank der Frauenanteil seither auf 10 Prozent und dümpelt heute bei 14 Prozent – trotz der rasant gestiegenen Nachfrage nach Computerexperten seit Mitte der 90er.

In den 70ern war Informatik noch ein Orchideenfach für Neugierige: Die Hälfte der StudienanfängerInnen hatte keine Ahnung vom Programmieren, allgemeines Basteln stand auf dem Programm. Junge Frauen wählten das Fach als Alternative zu Mathematik oder Geisteswissenschaften – denn Information hat schließlich auch etwas mit Kommunikation zu tun, so Heidi Schelhowe, Assistentin am Fachbereich Informatik der Humboldt-Uni in Berlin. Eine Zeit lang prägte deshalb eine geschlechtsspezifische Aufteilung das Fach: Der typische Informatik-Student galt als „Nerd“, als „Hacker, der gehemmt und kontaktarm ist und das Fach vom sozialen Kontext isoliert betrachtet“, schreibt Schelhowe in einem Aufsatz. Dem Nerd und der ihm zugeordneten Hardware gegenüber stand das „sanfte Programmieren“ der Frauen, die anwendungsbezogene Softwareentwicklung mit Gebrauchswert.

Als die Informatikausbildung ihr Orchideenstadium verließ, ihr Prestige wuchs und klar wurde, dass hier viel Geld und Ansehen zu verdienen sind, drängten verstärkt Männer in das Fach. Gleichzeitig fand, so Heidi Schelhowe, ein „Schließungsprozess“ statt: Informatikkompetenz wird zäh als „technisches Know-how“ und „Hightech-Wissen“ bezeichnet. Informatikerinnen dagegen betrachteten ihre Ansätze als „technikfern“ und in Randgebieten angesiedelt.

Tanja Degen (Name geändert), die Informatik an der FU Berlin studiert, kam auch von weither in das Fach: Deutsch und Geschichte waren ihre Leistungskurse. „Ich dachte, ehe ich so ein aussichtsloses Fach wie Ägyptologie oder Islamwissenschaften studiere, versuche ich es mal mit Informatik“. Mit ihrem AnfängerInnenstatus hatte Tanja keine Schwierigkeiten: „Wenn die anderen mich doof finden, wenn ich Fragen stelle, ist das ihr Problem“, hat sie sich zur Maxime gemacht. Damit scheint sie jedoch zu einer Minderheit zu gehören. Viele ihrer Kommilitoninnen sind durch den Vorsprung einiger Cracks eingeschüchtert, hat sie beobachtet. Das Ergebnis: eine hohe Abbrecherquote, gerade unter den Frauen.

Die TU Berlin hat Frauentutorien als Gegenmittel eingesetzt. Doch den jüngeren Studentinnen sind Sonderveranstaltungen für Frauen suspekt. „Das klingt gleich wieder so, als bräuchten Frauen Nachhilfe“, moniert die 22-jährige Tanja Degen. Lieber sollten Einsteigerkurse für alle eingerichtet werden, die nicht viel Vorerfahrung haben.

Inzwischen bemühen sich die Universitäten auf vielfältige Weise, jungen Frauen das Informatikstudium nahe zu bringen. So veranstalten viele Fachbereiche „Schnuppertage“ für Mädchen. Das Bildungsministerium fördert ein Projekt, bei dem Informatikerinnen in den Schulen für das Fach werben, und bietet den Informatikerinnen Mentorinnen an.

Kooperierten Unis und Wirtschaft in den Zeiten des Nachwuchsmangels Anfang der 90er freudig, so geht die Bereitschaft, in Frauen zu investieren, in letzter Zeit wieder merklich zurück, so die Beobachtung von Veronika Oechtering, Diplom-Informatikerin an der Uni Bremen. Zwischen 1993 und 1999 verdoppelte sich die Zahl der Studienanfänger von 14.271 auf 28.079. Im Jahr 2000 stieg die Zahl der Studienanfänger noch einmal um 36 Prozent. Wer braucht da noch Frauen? Als die Regierung nach dem Green-Card-Schock plötzlich 100 Millionen Mark in die Informatik-Fachbereiche pumpte, erinnert Oechtering sich, „da war von den Frauen plötzlich nicht mehr die Rede“.

Dumm findet das Professor Sifkes von der TU Berlin: „Wenn Sie ein Fach lebendig halten wollen, dann müssen Sie verschiedene Sichtweisen hineinbringen. Und Frauen haben nun mal einen anderen Blick auf Informatik.“

Dennoch könnte das Fach auch ganz ohne Förderprogramme für Frauen in Zukunft interessanter werden: Nicht nur fordern Unternehmen seit geraumer Zeit eine praxisbezogenere Ausbildung der StudentInnen. Das käme den Frauen, die ja laut Studien immer nach der praktischen Relevanz fragen, entgegen. Zudem wird gerade in der Softwareentwicklung diskutiert, wie der klassische Fall zu vermeiden ist, dass die Anwender verzweifelt feststellen, dass sich mit der tollen neuen Software statt elektronischer Erleichterung eine unendliche Verkomplizierung ihrer Arbeitsabläufe einstellt. Jeder kennt den hilflosen Postbeamten, der minutenlang verzweifelt in den Rechner starrt, um dann resigniert das dicke alte Register hervorzuziehen und dort mit dem Kugelschreiber Überweisungen einzutragen. Würde die Software in ständiger Auseinandersetzung mit den Anwendern entwickelt, so ein neuerer Ansatz in der Informatik, könnten Fehlentwicklungen vermieden werden. Auch dies wiederum, der direkte Kontakt mit den Anwendern, ist ein Bereich, der eher Frauen anspricht.

Entwickelt hat diese „partizipative Softwareentwicklung“ übrigens eine Frau: die Informatik-Professorin Christiane Floyd.