Rechtsfreie Wäschekammer

Der sogenannte Samenraub wurde schon in der Antike diskutiert. Trotzdem ist die Rechtslage immer noch nicht geklärt  ■ Von Elke Spanner

Seit der populärwissenschaftlichen Erkenntnis vor wenigen Wochen, dass das sogenannte „Wäschekammer-Baby“ nach Oralsex durch „Samenraub“ gezeugt worden sein soll, sind die JuristInnen mit Klärung der Rechtslage schwer in Verzug. Dabei wurde die weiblich-hinterlistige Aneignung fremden Ejakulats schon in grauer Vorzeit betrieben und schon damals sensationslüstern kolportiert. So berichtet zum Beispiel Diodorus Siculus, ein Schriftsteller von „mäßiger Intelligenz und großem Fleiß“ aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, von einem Vorfall auf Kreta.

Pasiphae, die Gattin des Minos – beide aus gut göttlichem Geblüt –, verliebte sich in einen äußerst attraktiven weißen Stier, der jedoch nichts von ihr wissen wollte. Am kretischen Hof weilte aber Dädalus, ein Allround-Genie, der ihr eine hölzerne Kuhattrappe baute. Die wirkte durch Kunstfertigkeit und Originalfell-Überzug so lebensecht, dass zumindest der Stier darauf reinfiel. Die in der Attrappe versteckte Pasiphae wurde schwanger und brachte den „Minotauros“ Asterion zur Welt. Allerdings entsprach der Kleine mit seinem Stierkopf nicht so recht dem damals gängigen Schönheitsbild, weswegen er im ebenfalls von Dädalus entworfenen Labyrinth ein abgeschiedenes und – abgesehen von sporadischen Menschenopfern – freudloses Dasein fristen musste.

Als Pasiphae vom Stier den Samen ergaunerte, gab es das heutige Strafrecht freilich noch nicht. Und mit dem eigenwilligen Äußeren des Sprösslings war die kretische Königin ohnehin genug gestraft. Doch wie ist es heute? Hat der Rechtsstaat aus der Geschichte gelernt und heimliche Befruchtung unter Strafe gestellt? Oder ist die Wäschekammer am Ende ein rechtsfreier Raum?

Da das Wort vom Samenraub die Runde macht, soll mit der Prüfung des Tatbestandes Raub begonnen werden. Dafür müsste die Räuberin den Mann entweder mit Gewalt oder durch eine furchterregende Drohung zur Abgabe seines Samens gezwungen haben. Er also muss gegen seinen entschiedenen Willen ejakuliert haben – was schon an der männlichen Anatomie scheitern dürfte.

Keine Drohung oder Gewalt fordert hingegen der Diebstahl. Dafür muss frau eine fremde bewegliche Sache – bei zeugungsfähigem Samen sicher anzunehmen – einem Anderen weggenommen haben. Und zwar, indem sie fremden Gewahrsam gebrochen und eigenen begründet hat. Indem sie ihrem Körper den Samen einverleibte, hat sie zwar sicherlich Gewahrsam daran begründet. Doch hat sie auch fremden gebrochen? Wir erinnern uns: Keine Drohung, keine Gewalt – er hat freiwillig ejakuliert. Also hat er auch freiwillig seinen Samen aus dem Körper gelassen. Ein Diebstahl liegt also auch nicht vor.

Gibt jemand eine Sache freiwillig weg, und die neue Besitzerin eignet sie sich rechtswidrig zu, macht sie sich der Unterschlagung strafbar. Wir kommen der Sache näher: Er ejakuliert freiwillig, sie nutzt den Samen, in dessen Besitz sie nunmehr ist, um sich damit zu befruchten. Ihren Zueignungswillen hat sie auch durch eine Tathandlung manifestiert. Allerdings: Sie muss die Tathandlung begangen haben, um die Sache „dem eigenen Vermögen einzuverleiben“. Nun hat sie den Samen nicht auf ihr Konto überwiesen, sondern dem Körper zugeführt. Deshalb: Fehlanzeige.

Weiter kommt noch ein Betrug in Betracht. Er glaubt an safer sex, sie wird schwanger. Hat sie ihn getäuscht, dadurch in ihm einen Irrtum erregt, der ihn zu einer Vermögensverfügung veranlasste, durch die sein Vermögen einen Schaden erlitt? Dann müsste die Ejakulation eine Vermögensverfügung sein. Weil zwischen der Abgabe des Samens und dem Vermögensschaden aber noch die Befruchtung, die Schwangerschaft, die Entbindung, der Vaterschaftstest und der Unterhaltsprozess liegen, dürfte es zumindest an der erforderlichen Unmittelbarkeit fehlen.

Um es kurz zu machen: Auch eine „Personenstandsfälschung“ in Form der „Kindesunterschiebung“ ist es nicht. Dafür müsste frau den falschen Erzeuger angeben und nicht den richtigen, der nur behauptet, ihm sei der Samen geraubt (?), gestohlen (?) oder sonstwie entwendet worden.

Da aus dem Samen ein Mensch werden kann, bliebe zum Schluss noch der „Menschenraub“ zu prüfen. Dafür müsste frau sich eines anderen, in diesem Fall also des Samens, bemächtigt haben, um die Sorge des Mannes um diesen zu einer Erpressung auszunutzen. Das würde aber voraussetzen, dass der Mann seinen Samen unversehrt wiederbekommen möchte. Und davon kann bei aller Lebenserfahrung auch nicht ausgegangen werden.