Riss im Beton

Thomas Schmauser über Kleists „Prinzen von Homburg“ und die somnambule Drift  ■ Von Petra Schellen

Thomas Schmauser ist ein Spieler. Einer, der aufspringt und wie ein Gummiball hüpft vor Glück, wenn er das richtige Wort gefunden hat. Und Worte, wohl gesetzt, gibt's in großer Menge in Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg, in dem Schmauser schon wieder – Dantes Inferno ist gerade erst angelaufen – am Thalia Theater die Hauptrolle spielt. „Ach, eigentlich war es wohltuend, nach dem Dante sofort weiterzuproben“, erzählt er. „Sonst wäre man, als Inferno-Regisseur Tomaz Pandur abgereist war, in ein tiefes Loch gefallen. Wir haben mit ihm ja jeden Morgen Tai-Chi geübt...“ und davon will der 28-Jährige auch künftig nicht lassen – weil's harmonisierend ist und ganz andere Impulse freisetzt als der Prinz in Kleists letztem Stück.

„Homburg akzeptiert die Machtverhältnisse um ihn herum zwar“, sagt Schmauser über den vom Kurfürsten wegen Eigenmächtigkeit in der Schlacht vorübergehend zum Tode verurteilten Prinzen, den aber schließlich doch noch Begnadigung trifft. „Aber er kann nicht anders, als immer wieder auszubrechen“, freut sich Schmauser. „Homburg handelt affektgeladen und ahnt, dass es noch andere Dimensionen der Wahrnehmung gibt. Das ist eine besondere Fähigkeit, die man als Behinderung oder als Bereicherung betrachten kann.“ So wie die Fähigkeit – Schmauser erzählt vom seinem letzten Museumsbesuch – die Farben eines Nolde-Bildes nicht nur zu sehen, sondern zu spüren. „Auch Homburg sucht nach der letzten Wahrheit. Er forscht nach dem treffenden Begriff, er wühlt sich in die sprachlichen Bilder hinein, um rauszukriegen, welche Wahrheit hinter den Worten verborgen liegt.“

Die Sehnsucht nach Schönheit treibe Homburg um, die Hoffnung, hinter der pragmatischen Form Ästhetik zu finden und so Realität und Traumwelt zusammenzubringen. „Dieses Wegdriften aus der so genannten Realität ist es, was Homburg von anderen unterscheidet und das ihm unvorstellbare Räume der Wahrnehmung eröffnet – wenn er zum Beispiel über die Frage nachsinnt, warum er einen vermeintlich geträumten Handschuh real in der Hand hält. Wenn er sowohl tags als auch nachts auf dem Grat zwischen Realität, Ahnung und Einbildung wandelt.“ Und so sehr sich Homburg auch bemüht – ganz stimmig wird er, glaubt Schmauser, nie: „Als er schließlich euphorisch sein eigenes Todesurteil akzeptiert, verrennt er sich total: Er redet davon, dass er die Gruft sehen will und dass er auf alles gefasst sei – aber was da wirklich auf ihn zukommt, begreift er nicht.“

Aber Schmauser hat Verständnis für Homburg, freut sich über die Beunruhigung, die von solchen nicht fassbaren Figuren ausgeht. Ihm gefällt die Osmose aus Traum und Realität, das Wandeln zwischen vorgefundener und zu erschaffender Welt, das auch Kleist eigen war: „Kleist hat sein Entrücktsein durch Schreiben kompensiert, Homburg dagegen handelt eher unbewusst, als Getriebener, wenn er versucht, die Widersprüche zu vereinen – und leidet an der Tatsache, dass er mit des Traumes Methoden Krieg und Partnerinnenwahl bewältigen will.“ Eine Erkenntnis, die Kleist im selben Atemzug süffisant konterkariert: Denn der Krieg wird gerade durch die intuitive Entscheidung Homburgs gewonnen – ein Armutszeugnis für alle Regeln, die die Welt berechenbarer machen sollten.

Wie aber sieht es Schmauser, liegt ein Plan hinter des Lebens Asymmetrien; ist er eigentlich religiös? „Ich glaube, das Göttliche offenbart sich in allen Dingen – auch in denen, deren Bewegung wir nicht auf Anhieb wahrnehmen: Der Stein bewegt sich schließlich auch, er lässt sich's bloß nicht anmerken.“ Schmauser freut sich an der Idee, springt auf, rennt zum Fenster, bewundert die Morgensonne und fläzt sich zurück in den Sessel. „Und das ist auch der Grund dafür, dass ich Giordano Bruno verehre, der die Allgegenwart des Göttlichen deutlich spürte und dessen Erkenntnisse auch nicht durch die mordende Inquisition vernichtet werden konnten.“

Welche Rolle spielt aber für Schmauser der Einzelne im kosmischen Geschehen, welchen Beitrag könnte das Individuum sinnvollerweise leisten? „Ich glaube, es ist wichtig, die Balance zu finden. Denn wenn man sich auch nach Kräften bemüht, wenn ich auch versuche, mich in Rollen wie den Homburg bis an die Grenzen des mir Möglichen einzufühlen, soll man doch nie denken, man wäre das Zentrum der Welt. Wichtig ist, glaube ich, nur eins: zu begreifen, dass letztlich – klingt jetzt kitschig, ist aber nicht so gemeint – der ewige Pulsschlag des Kosmos übrig bleibt. Und das einzige, was ich tun kann, ist Verunsicherung zu säen – durch Figuren wie den Homburg, der dasselbe bewirkt wie der stetig wiederkehrende Riss im Beton, den man trotz aller Bemühung nicht zugestampft bekommt.“

Premiere heute, 20 Uhr, Thalia Theater