Die ganze Welt befruchten

■ In den Texten des russischen Autors Vladimir Sorokin geht es brutal zur Sache. Sein Stück „Dostojewski Trip“ über Literaturjunkies haben Marlon Metzen und Hanna Zimmermann jetzt spektakulär im Concordia eingerichtet

Tribüne an den Rändern oben, Geschehen drei Meter darunter; Tribüne hinten, Geschehen vorne; Tribüne rechts auf zwei Etagen, Geschehen links; Tribüne – fehlend, ZuschauerInnen im Geschehen: In diesen und ungezählten anderen Variationen wurde in den vergangenen 30 Jahren im Concordia schon Theater inszeniert. Doch jetzt kommt mit dem Regisseur Marlon Metzen und der Ausstatterin Hanna Zimmermann ein junges Regieteam daher und fügt dem ungeschriebenen Wettbewerb „Wie richte ich Bremens schönste Raumbühne möglichst fantasievoll ein?“ eine spektakuläre neue Variante hinzu: It's Salon-Time in Concordia, das Bremer Theater lädt zum „Dostojewski Trip“.

Das gleichnamige Stück des hierzulande viel gelesenen russischen Autors Vladimir Sorokin ist ausdrücklich keine neue Fassung des „Trainspotting“-Stoffes. Anders als im Westen, wo selbst die Junkies angeblich so sind wie die Junkies aus dem viel gesehenen Film, ist in Russland gar nichts so, wie es scheint.

Sorokins Literatur ist eine Art Konzeptkunst. Der 1955 geborene Schriftsteller benutzt den Naturalismus und die Klischees der klassischen russischen Schriftsteller und ihrer sowjetischen Nachfolger, um dies durch einen literarischen „Regieeinfall“ zu brechen und zu entlarven. Dem Vernehmen nach hat er ein sanftmütiges Auftreten, doch in Sorokins Texten geht es äußerst brutal zu. Auch in seinem, nun in Bremen in deutscher Erstaufführung gezeigten Stück „Dostojewski Trip“ ist fortwährend von Gewalt, Päderasten, Schlagstock-Pädagogik und allen erdenklichen anderen Perversionen die Rede. Die Figuren haben derart viel auf dem Buckel, dass man sich über ihr Überleben wundert. Das ist eigentlich schon bei Dostojewski so. Der als überaus belesen geltende Sorokin spielt halt mit dem Klischee der russischen Belesenheit.

Ein Septett eher alterslosen Menschen ist auf Entzug. Brüllend und aggressiv wie Fixer wartet die Gruppe auf ihren Dealer. Doch die Drogen heißen nicht Crack oder Extasy, sondern Faulkner, Huxley oder eben Dostojewski. Als der Dealer endlich liefert, schreibt die Regieanweisung einen abrupten Szenenwechsel in einen luxuriös möblierten Saal vor. Aus den Literaturjunkies werden Figuren aus Dostojewskis „Idiot“. Nach kurzer Zeit fallen sie auch aus diesen Rollen, um sich in Größenwahnphantasien zu ergehen, bis sie wiederum erneut aus den Rollen fallen, und einer nach der anderen eine Kindheitsgeschichte zum Besten gibt.

Marlon Metzens Inszenierung beginnt furios. Während das Publikum noch im engen Vorraum des Concordia versammelt ist, fängt das Spektakel auf der Straße an. Das klischeestrotzende und in den Klischees wiederum saukomisch gebrochene Geschehen wird durch eine Videoprojektion nach innen übertragen. Erst mit der Verabreichung des „Dostojewski Trips“ wird der Saal geöffnet. Und der ist in der Tat mit salon-rot-brauner Rundumbestuhlung, Theken und Verzehrkinolämpchen luxuriös hergerichtet. Doch das Schauspiel ist alles andere als ein Salongeplauder. Denn was Sorokin kann, kann der Metzen schon lange: ein Konzept umsetzen.

Nun als nicht mehr durchnummerierte Figuren, sondern als „Idiot“-Gestalten zelebrieren die sieben Samurai den Dostojewski-identischen Teil des Trips als Bühnenballett. Hand ans Geschlecht, Hand an den Mund, Hände gewirbelt und einmal geklatscht walzt das Septett übers Parkett und spricht dabei. Lang, ein bisschen zu lang hält Metzen diesen Einfall für tragfähig, doch kurz vor Ausbruch allgemeiner Langeweile beginnt auch schon der stärkste Teil dieser Inszenierung.

Wie nach einem Filmschnitt stürzen sich die Sieben in ihre Größenfantasien: Eine will eine Großstadt nach der anderen abfackeln und klettert dafür in den Kronleuchter, ein anderer will mit seinem Lava-Sperma alle Frauen der Welt befruchten, und ein dritter träumt davon, als reichster Mann des Universums Edelsteine auf die Menschheit niederregnen zu lassen. Innerhalb kurzer Zeit nehmen diese Größenwahnsinnigen die Luxusbühne auseinander und richten in einer temporeichen Szenenmontage ein spektakuläres Chaos an. Für das vierte und letzte Kapitel des Stückes schließlich lässt Marlon Metzen die Sieben auf Leitern klettern und mit Helium-Gas-Micky-Maus-Stimmchen von ihrer Kindheit erzählen. Da darf bei Sorokin jeder mal was sagen, und Metzen hält sich dran.

Das Stück krankt etwas an seiner Konstruiertheit. Sorokins Hass auf den Stalinismus und auf den Drill in den Zeiten der Sowjetunion sitzt tief. Laut Interviewäußerungen haben diese Wunden aus Kindheitstagen Alpträume für ein ganzes Leben bei ihm hinterlassen. Also sind auch seine Figuren Alptraumwesen oder selbst in tiefster Seele ver-narbt.

Unterschiedslos und nicht gewichtet stehen da vor allem im vierten Abschnitt des Stückes die Erinnerungen nebeneinander. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort mag das als pauschale Anklage verstanden werden, hier aber läuft die statische Konstruktion ins Leere und taugt nicht für „Spiegel“-Schlagzeilen à la „Wut einer ganzen Generation“. Marlon Metzens achtzig Minunten lange/kurze Inszenierung ist im Bühnenballett oder in diesem vierten Abschnitt zwar opulent, aber ebenso konstruiert.

Das Vorspiel draußen vor der Tür ist aber so originell, der dritte Abschnitt so wunderbar wuselig, die Ausstattung so spektakulär und das inklusive Souffleuse 8,5köpfige Ensemble so hervorragend, dass diese Inszenierung unterm Strich sehenswert und (wie Kollege R.M. an anderer Stelle mal bemerkte) einer 3.117ten Fassung des „Sommernachtstraum“ allemal vorzuziehen ist. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 21., 23. und 25.2., 3., 9., 11., 14., 23. und 30.3. um 20 Uhr im Concordia