Alice im Bremer Rathaus

■ Zweierlei über die Lesung der Alice Schwarzer im Bremer Rathaus. Obwohl sich die Geister noch heute an ihr scheiden, kam die Veranstaltung vor 300 Neugierigen ohne Debatte aus.

Alice Schwarzer war da und hat ihren Fans das Lied vom „Highnoon im Geschlechterkampf“ gesungen. Die Obere Rathaushalle war rappelvoll. Einige kamen nicht rein, andere mussten stehen und alle wollten sie nur eins: Die einzige Heldin der deutschen Frauenbewegung hören und sehen. „Frau Schwarzer, stehen Sie doch noch einmal auf, damit wir sie alle sehen können“. Und sie stand und winkte. Und setzte sich und las anderthalb Stunden aus ihrem neuen Buch vor.

Mit Vergnügen füllte sie die Rolle aus, die wir von ihr erwarten, und für die sie nicht nur wie hier von Belladonna und Radio Bremen, sondern auch in Talkshows aller Sender eingeladen wird. Music for the Masses. Sie serviert mundgerecht aufbereitete Erkenntnisse aus den letzten 15 Jahren feministischer Wissenschaft und behauptet, das hätten sie und Simone de Beauvoir schon immer gesagt. Zum Beispiel, dass auch das „biologische“ Geschlecht ein Zwangsmuster ist, welches die Entfaltungsmöglichkeiten erheblich einschränkt. Auch die von Männern. Entsprechend heißt der Untertitel ihres Buchs „Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen“ und auf der Lesung gibt es eine Strophe über die Ähnlichkeit der Geschlechtsorgane. Ja, nicht nur Alice Schwarzer, sondern auch Leonardo da Vinci fand, dass ein Penis nichts anderes sei als eine „umgestülpte“ Vagina. Und jetzt zum Mitsingen für alle: Sind wir nicht alle bloß Menschen?

Diejenigen, denen diese und andere Ideen nicht neu sind, hätten sich vorgestern Abend gelangweilt. Egal. Alice Schwarzer war nicht angetreten, um die „feinen“ Unterschiede zwischen Menschen und vor allem auch zwischen Frauen zu analysieren. Sondern laut Buchtitel den „großen Unterschied“, der nach wie vor das Leben von Frauen und Männern bestimme. Beispiel: sexuelle Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen. Es muss ja nicht immer High Theory sein. Manchmal tut es einfach gut, wenn eine ausspricht, was sich Akademikerinnen nicht mal zu denken trauen. „Gestellte Photographien von vergewaltigten Frauen sind keine Kunst und auch nicht erotisch, sondern in höchstem Maße frauenfeindlich.“

Das Publikum wollte auch nichts anderes hören und hatte seine helle Freude, als Schwarzer Gerhard Schröders Vorliebe für den alten Chauvi Hemingway zerpflückte. Klatsch, jubel, kicher. Bei den ernsteren Passagen gab es kleine Empörungsrufe oder zustimmendes Kopfnicken, wenn sie darüber redete, dass Frauen zwar eine Menge erreicht haben, aber sich innerlich zerreißen müssen zwischen dem Wunsch begehrt zu werden und dem, unabhängig zu sein. Erfreulicherweise sind das keine Themen, für die sich nur Berufs-Feministinnen interessieren. Die Bremer Alice-Fans sind eher bürgerlich aussehende Frauen verschiedenen Alters, die sich einen netten Abend machen und „sich mal wieder aufrütteln lassen“ wollen, wie eine alleinerziehende Mutter sagte. Eiken Bruhn