Kanzlergondel und Wundermöbel

Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung informierte in eigener Sache. Nun bekam also Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye einen ganzen Bund alter Schlüssel überreicht, die im umgebauten ehemaligen Postscheckamt am Spreebogen doch noch einige Türen aufsperren sollen

Der virtuelle Auftritt ist offensichtlich schon einmal ein Knüller. Zwischen wenigstens sechs- bis achttausend E-Mails pro Monat versenden die Bundesbürger an die Netzadresse. Die meisten davon sind an den Kanzler gerichtet. Viele wollen nur einen Kommentar abgeben, zuletzt am häufigsten zum Entwurf des neuen Betriebsverfassungsgesetzes. Andere aber bitten um Hilfe bei ganz normalen Alltagsproblemen, sie erhalten dann zum Beispiel die Adresse der Mieterberatung. Nun würde man ja annehmen, den Leuten sei die Adresse ihrer Mieterberatung geläufiger als die des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung. Dass es offenbar nicht so ist, muss wohl als Erfolg der öffentlichen Kommunikation der Institution gelten. Andererseits: Welche Adresse im Cyberspace ist nahe liegender als www.bundesregierung.de und www.bundeskanzler.de?

Am Donnerstag nun feierte die Behörde ihren realen Auftritt in der Hauptstadt, im ehemaligen Postscheckamt am Spreebogen. Der Umzug ist vollbracht und die administrative Regierungsfähigkeit ein weiteres Stück gewachsen. Wenn erst mal die Propagandaabteilung funktioniert, dann kann ja nicht mehr viel schief gehen. Nun ja, an die unseligen Zeiten eines Dr. Joseph Goebbels in dieser Stadt wurde nur einmal ganz kurz erinnert. An die seines Nachfolgers im Ostteil gar nicht. Nein, es ist ein Neuanfang in der neuen Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland, der mit dem für jedermann kommunikativ leicht erreichbaren und in diesem empirischen Sinne populären Amt gefeiert wurde.

Neu sind sogar die Möbel von Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, und das scheint ein Wunder zu sein, glaubte man den sechs Regierungssprechern, die die Moderatorin Sandra Maischberger auf die Bühne bat. Sie repräsentierten eine Zeitspanne von Adenauer bis 1998. Mindestens vier ließen sich über das einst von Peter Boenisch angeschaffte Mobiliar aus, das anscheinend nicht jedermanns Stil entsprach, aber einfach immer weitervererbt wurde.

Jetzt ist natürlich alles höchst geschmackvoll in dem weitläufigen Bau, in dem sich die Mitarbeiter, wie sie zugeben, immer noch verirren. Die größten Chancen für die interessanteste Führung durch das Labyrinth hatten nun vorgestern die Ehefrauen derjenigen Beamten, die den Umbau beaufsichtigten. Schloss man sich einem solchen Ehepaar an, dann ward man auf die Räume der Bibliothek aufmerksam gemacht, vor allem auf deren aufgesetzten zweiten Stock, von dem aus man einen hinreißenden Ausblick über Berlin hat. Auf der einen Seite sieht man Reichstag, Kanzleramt und die Charité, auf der anderen schaut man dieses Mal nicht Unter, sondern über den Linden hinweg in den Süden der Stadt. Noch bemerkenswerter ist freilich die Geschichte, dass es von der Spree her einen Kanal gibt, der in das Gebäude führt. Er wurde bei den Umbauarbeiten entdeckt. Da das Gebäude ursprünglich eine Markthalle war, wurden auf diesem Weg die Waren hereingebracht. Natürlich dachten die Architekten, wie schön es wäre, wenn der Kanzler – möglichst mit wahnsinnig beeindruckten Gästen – von seinem Kanzleramt oder vom Reichstag aus ganz bequem auf einem Schiffchen in das Haus gelangen könnte, das sich „Mund und Ohr“ der Bundesregierung nennt.

Aber wie man sich in Berlin leicht denken kann, war dieser Plan natürlich nicht umzusetzen. Da die Spree auf Höhe des Presse- und Informationsamts nicht gerade verläuft, müsste sie, so die Argumentation des Wasser- und Schifffahrtsamts, verbreitert werden, damit sowohl die Kanzlergondel wie die dicken Lastkähne Platz für ihre Manöver hätten. Das war dann doch zu aufwändig, und so ist der Stichkanal jetzt wieder zugemauert.

BRIGITTE WERNEBURG