Jedem Angriff folgt die Korrektur

Seit Fischer im Januar zum ersten Mal über seine Vergangenheit geredet hat, steht er im Verdacht, die Wahrheit nur scheibchenweise zu präsentieren

aus Berlin JENS KÖNIG

Der junge Mann auf dem Foto hat mittellange schwarze Haare. Er trägt eine eckige Brille auf der Nase, sie gibt seinem weichen Gesicht mit dem Oberlippenflaum eine gewisse Strenge. Er schaut direkt in die Kamera. Er lächelt leicht. Sein Blick wirkt wie die erste, scheue Pose eines Menschen, der noch keinerlei Erfahrung im Umgang mit den Medien besitzt. Im Hintergrund des Bildes sind ein paar leere Stuhlreihen zu erkennen.

Stürzt Joschka Fischer über dieses 32 Jahre alte Foto?

Ganz bestimmt nicht, sonst würde sein Sprecher Andreas Michaelis das Bild nicht so freigebig unter den Journalisten herumreichen. Auf dem Bild ist der junge Joschka Fischer als Teilnehmer einer PLO-Solidaritätskonferenz in Algier 1969 zu sehen. Das Foto hätte vielleicht nie das Licht der Weltgeschichte erblickt, wenn der Außenminister in einem Spiegel-Interview nicht behauptet hätte, zwischen 1966 und seiner Zeit als Außenminister nie in einem arabischen Land gewesen zu sein.

Unter normalen Umständen ist die Frage, wann wo mit wem Fischer früher war, eher uninteressant. In diesen aufgeregten Zeiten aber ist alles wichtig: Jeder kleine Trampurlaub im Sommer, jedes Wort, das Fischer am Frühstückstisch in Frankfurt vor fünfundzwanzig Jahren fallen gelassen hat. Der Außenminister kann sagen, was er will – seit er Anfang Januar zum ersten Mal über seine militante Vergangenheit gesprochen hat, steht er unter dem Verdacht, nicht alles aus seinem Vorleben preiszugeben oder die Wahrheit nur scheibchenweise zu präsentieren.

Also zeigt Fischers Sprecher an diesem Freitagvormittag das Foto aus Algier jedem, der es sehen möchte. Seht her, kann man in seinen Augen lesen, der Minister hat nichts zu verbergen. Dabei weiß Michaelis genau, dass es an diesem Tag gar nicht um die von Fischer erst nachträglich zuzugebene Teilnahme an der PLO-Solidaritätskonferenz geht. Aber er ist auch schlau genug zu wissen, dass in der aufgeregten, fast hysterischen Stimmung, in der die Angelegenheit Fischer verhandelt wird, alles mit allem zusammenhängt. Und wenn sich der Außenminister an den Besuch einer Konferenz im Ausland nicht erinnern kann – heißt das nicht, dass auch andere Aussagen falsch sein können?

Gerade um diesen schwerwiegenden Vorwurf geht es in einem anderen Fall, der Fischer und seinen Leuten an diesem Freitag eigentlich Sorgen macht. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft will gegen den Außenminister wegen uneidlicher Falschaussage ermitteln. Grund für die Ermittlungen sind angeblich widersprüchliche Angaben Fischers über seine Kontakte zur späteren RAF-Terroristin Margrit Schiller. Welche Assoziationen ein solches Ermittlungsverfahren gegen einen amtierenden Bundesminister bei vielen Journalisten in der skandalerprobten Hauptstadt auslöst, davon kann sich Fischers Sprecher auf der Bundespressekonferenz ein eindrucksvolles Bild machen. Wann rechnen Sie mit einem Rücktritt Fischers?, lautet gleich die erste Frage.

Andreas Michaelis lächelt nur kurz und nimmt die Sache professionell: „Ich rechne mit keinem Rücktritt“, antwortet er und versucht ansonsten Abgeklärtheit zu vermitteln. Das Außenministerium wolle das Ermittlungsverfahren, sagt er. Die offene Frage, um die es seit Wochen gehe, sei abschließend nur noch auf diesem Wege zu klären. Die Aussage Fischers über seine Kontakte zu Margrit Schiller sei belastbar, so der Sprecher. „Wir sehen dem Verfahren mit großer Ruhe entgegen“, sagt Michaelis, und man ist fast geneigt, ihm das auch zu glauben.

Nur manchmal kommen leise Zweifel an dieser souveränen Haltung auf. Als Fischers Sprecher erklärt, die Arbeit des Außenministers sei durch die ganze Affäre nicht belastet, rutscht ihm ein Satz heraus, den man auch als Dementi seiner eigenen Worte lesen kann: „Aber es ist kein Geheimnis, dass das schon an ihm zehrt.“

Trotzdem scheint Joschka Fischer das drohende Ermittlungsverfahren zu einer Art Befreiungsschlag in eigener Sache nutzen zu wollen. Was ihn am Umgang mit seiner Vergangenheit am meisten aufregt, hat sein Sprecher gestern noch einmal deutlich gemacht: Mit der verkürzten, verzerrten oder falschen Darstellung einzelner Lebensabschnitte solle der Außenminister zu ständigen Korrekturen seiner eigenen Aussagen provoziert werden. „Aber wie soll man eine ganze Biografie eins zu eins in den Medien darstellen?“, fragt Michaelis fast schon flehend. Die Geschichte mit der PLO-Solidaritätskonferenz scheint Fischers Sprecher dafür symptomatisch zu sein. Fischer hat auf die Frage des Spiegel, ob er sich um 1970 in einem PLO-Camp in Jordanien aufhielt, geantwortet: „Oh ja! Sonst noch was?“ Anschließend erzählte Fischer, dass er 1966 auf einer „völlig unpolitischen Tramptour“ gewesen und erst wieder als Außenminister nach Israel und in die arabischen Länder zurückgekehrt sei.

Diese Aussage sei von zweifelhafter Qualität, so Michaelis. Er selbst habe Fischer 1995 begleitet, als der als grüner Fraktionschef Israel besucht habe. Aber solle man ihm daraus jetzt einen Strick drehen? Das Gleiche gelte für die PLO-Konferenz 1969. Es könne doch nicht angehen, klagt der Sprecher, dass Fischer sich in jedem Interview quasi in einer „gerichtsförmigen Situation“ befinde, wo ihm auch vorgeworfen werde, was er nicht sage. „Ob Fischer in Algier rechts oder links gesessen hat, ob er eine oder fünf Stunden geblieben sei“, so Michaelis, „das sind Details, die nichts zur Wahrheitsfindung beitragen.“

Höchstens zur Verwirrung der eigenen Leute. Michaelis räumt bei der Gelegenheit gleich noch ein, dass er auch nicht wisse, warum Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, am Mittwoch im Bundestag behaupten konnte, Fischer sei nur eine Stunde auf der PLO-Konferenz geblieben und hätte anschließend einen Stadtbummel gemacht. Das entspreche nicht den Tatsachen. Aber um Spekulationen zuvorzukommen, schiebt er gleich hinterher, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Fischer und Volmer ungetrübt sei.

Wenn Fischer den nächsten Wochen wirklich mit großer Ruhe entgegensehen sollte, dann kann man nur sagen: Eine komische Ruhe ist das.