Distanziert euch von eurer schrecklichen Vergangenheit!

Wahrheit-Autoren bekennen sich schuldig: Ja, wir haben in den Siebzigerjahren so furchtbar ausgesehen. Ein erschütterndes Dokument des schlechten GeschmacksGewaltige Backen

Gewaltige Backen

Ich will dieses üble Foto nicht rechtfertigen, aber die ganze Repression damals hat leider mehr bewirkt als nur eine Mauer in den Köpfen, sondern auch dicke Koteletten an den Backen, und dafür möchte ich hier und heute Abbitte leisten. Was Sie auf dem Bild nicht sehen können: In der linken Hand habe ich eine Zange und in der rechten eine Eisenstange. Das tut mir auch leid. Ich will das um Gottes willen nicht rechtfertigen, auch den Molli nicht, der in meiner Gesäßtasche steckte, aber geworfen habe ich nie einen, und zur Gewalt habe ich auch nie aufgerufen. Dennoch: Es gab jede Menge Gründe zu protestieren, was bitte nicht als Rechtfertigung missverstanden werden darf. Viele verliehen ihrem Protest bereits rein äußerlich Ausdruck, wie Sie auf dem „Verbrecherfoto“ – wie meine Mutter immer sagte – sehen können. Vielleicht hätten wir damals mehr auf den Schlagersänger Freddy Quinn hören („Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden – wir!“) und die Haare öfter waschen sollen. Ich meine das nicht als Rechtfertigung, und ich gebe Ihnen hier mein Ehrenwort: Nie wieder Koteletten. KLAUS BITTERMANN

Arme verbiegen

Ja, ich gebe es zu: Ich habe kleinen Kindern mit meiner frisch geföhnten Dauerwelle das Fürchten gelehrt und ihnen die Arme verbogen. Sie müssen das verstehen, es waren die Siebzigerjahre – das machte man damals so. Heute weiß ich, dass es falsch war. Auch den Flokati, locker über ein paar alte Matratzen geworfen, erkenne ich heute als Waffe des Terrorismus gegen den guten Geschmack. Ich distanziere mich davon, ein Minipli-Ire gewesen zu sein. RALF SOTSCHECK

Fenster im Nacken

Die Siebzigerjahre? Eine schlimme Zeit. Ich war ein wilder Bursche. Die Nacht gehörte mir. Ständig die Bullen im Nacken. War ja auch kein Wunder: Ich hatte ein Kolbenfenster. Und einen abgesägten Krümmer. Und ein 36er Ritzel (hinten). Aber das Schlimmste war: mein Schalldämpfer – oder das, was von ihm übrig war. Ich war zu schnell, zu illegal und zu laut. Ich habe vielen anständigen Leuten damals den Schlaf geraubt. Das tut mir wirklich sehr leid. Ich tu es auch nicht wieder. ©TOM

Apfelshampoo

Für den frühen Michael Rudolf stand unverkennbar Ian Gillan von circa 1971 Pate. Leider wurden die Talgdrüsen urplötzlich unglaublich aktiv, so dass der sympathische Autor bei den Schulmeisterschaften im Haarfettweittropfen siegte. Ein Pyrrhussieg: Danach mussten die Haare zwei- bis dreimal stündlich gewaschen werden. Noch heute riecht der am 5. 9. 1979 abgeschnittene Zopf nach grünem Apfelshampoo. MICHAEL RUDOLF

Kette am Kopf

Nein, jetzt schauen Sie nicht auf diese Föhnwelle und den dumm offen stehenden Mund. Etwas tiefer offenbart sich das ganze Ausmaß des Schreckens: eine silberne Halskette! Mit Anhänger! Mit Sternzeichen! Waage! So was bekam man früher zur Konfirmation geschenkt. Heute würde ich als Sechzehnjähriger sicher eine schwere Goldkette über dem T-Shirt tragen. Von dieser Vorstellung distanziere ich mich sofort. MICHAEL RINGEL

Zombie sein

Okay, ich sah in den Siebzigern wirklich nicht gut aus. Ich war ein Zombie. Wirr war meine Matte, speckig und ungepflegt. Kalkweiß das abstoßende Gesicht. Mein linkes Auge blutete ständig – Folge meiner nächtlichen Attacken auf harmlose Bürger, die sich gelegentlich mit Äxten und Eisenstangen wehrten. Kam ich sonntags zum Mittagessen nach Hause, schlugen meine Eltern die Augen betreten nieder. Dieses Monster sollte ihr Sohn sein? Ich aber löffelte ungerührt meinen Pudding. Heute bin ich selbstverständlich ein wenig schlauer und längst kein Zombie mehr. Dafür ist eine andere Zombie-Spezies an der Regierung (G. Schröder, J. Fischer, R. Scharping). Sie sehen abstoßender aus als ich zu meinen schlimmsten Zeiten, erzählen im Fernsehen Horrorgeschichten von gegrillten Föten und beschmeißen fremde Völker mit Bomben. Vielleicht wäre es an der Zeit, wieder ein Zombie zu werden, um es mit diesen Untoten aufnehmen zu können? Aber wahrscheinlich bin ich dafür längst zu alt. Kein Grund jedoch, sich von einer Zeit zu distanzieren, als Zombies noch die schöneren Menschen waren. CHRISTIAN Y. SCHMIDT

Frauenblock

So unwürdig ging ich damals heraus zum 1. Mai: Turnschuhe, Tennissocken, unterwäschiger Einteiler und die Sonnenbrille unter die Bötzelfrisur gesteckt – eine schlimme Mischung aus Sportivling und jungmännerhafter Eiweißschleuder. Bah. Genau so zog ich in Sachen Weltrevolution ums Karree, von einem Wunsche beseelt: im Frauenblock mitschreiten zu dürfen. Nicht wenige Damen aber riefen „Sexisten raus!“, obwohl ich im Singular antrat. Andere konnten mit jugendlichem Po-Gewackel milde gestimmt werden: „Lass den doch, der ist doch süß. Der hat einen reizenden Knackarsch!“ Schon damals war ich ein Spalter der Frauenbewegung. Das erkannten auch sechs Ordnungshüter, denen ich später in exakt dieser Kleidung in die Arme lief. Die Polizeifeministen griffen durch. Sie wämmsten mich windelweich und warfen mich in eine Arrestzelle. Dafür, dass ich der Ordnungsmacht in solch provozierender Montur gegenübertrat und sie auf diese perfide Weise zwang, gewalttätig zu werden, bitte ich nachträglich um Entschuldigung. WIGLAF DROSTE