wir lassen lauschen
: Lieder in Moll zum Abheben

Remix für Kazuyoshi Funaki

Haben Sie sich auch schon gefragt, was in einem Skispringer vorgeht, wenn er sich mit annähernd hundert Sachen vom Schanzenturm in die Tiefe stürzt. Oder ganz allgemein: Was sind Skispringer eigentlich für Menschen? Eine Antwort auf diese Frage wird man in diesen Tagen während der nordischen Skiweltmeisterschaften im finnischen Lahti kaum erhalten. Da geht es vornehmlich um Haltungsnoten und Sprungweiten.

Voll und ganz dem Privatleben der Skispringer widmen sich zwei Künstler aus Österreich. Das Wiener Liedermacher-Duo Christoph & Lollo hat vor nunmehr zwei Jahren das Genre des „Schispringerliedes“ begründet und termingerecht zu den Titelkämpfen in Lahti ihren zweiten Tonträger vorgelegt. Die meist in Moll gehaltenen Lieder zu Skihütten-Gitarrenbegleitung zeichnen ein mehrheitlich tragisches Bild von den Sprungläufern; als einsam, depressiv und suizidgefährdet werden sie beschrieben. Die Finnen leiden zusätzlich unter einem Alkoholproblem. Und beziehungsmäßig steht es auch nicht gerade zum Besten. Wenn etwa Mika Laitinen, WM-Dritter 1995 auf der Normalschanze in Thunder Bay, nach einem verpatzten Wettkampf nach Hause kommt, erwartet ihn seine Gattin mit den Worten „Mika, du Saufkopf, hast du wieder verloren!“ Nicht besser ergeht es Laitinens Landsmann Janne Väätäinen, dritter beim ersten Weltcup-Nachtspringen 1996 in Kuopio. Wegen der drei Umlaute in seinem Namen wird er nächtens am Telefon verhöhnt.

Ganz anders dagegen der Japaner Kazuyoshi Funaki, Skiflugweltmeister 1998 in Oberstdorf (18- von 20-mal mit der Bestnote ausgezeichnet!) und Olympiasieger in seiner Heimat im gleichen Jahr. Einem Halbgott gleich, mit humanistischer Bildung und Manieren, der sich auch freuen kann, wenn andere mal gewinnen, hat sich Funaki zum Liebling der Wiener Schispringerliedermacher Christoph & Lollo entwickelt. Auf der jüngsten CD wird ihm gar ein Remix mit weiteren wohlwollenden Strophen gewidmet.

Das einprägsame Gitarrengeschrummel der Skisprung-Aficionados nistet sich in die Gehörgänge; und wenn am Sonntag in Lahti ein erstes Mal um Gold gesprungen wird, fühlt man sich den Athleten plötzlich näher. Sollte etwa der smarte Kazuyoshi Funaki am Mittwoch im Mannschaftsspringen wieder eine Medaille mit dem japanischen Team holen, so bleibt dies nicht länger ein auf rein sportliche Aspekte beschränktes Phänomen. Ohne Beziehungsprobleme und mit Lateinkenntnissen lässt sich’s bekanntlich unbeschwerter über den Schanzentisch hüpfen.

In Österreich haben die Schispringerlieder dank dem Radiosender FM4 einen beachtlichen Verbreitungsgrad erreicht. Klagen von besungenen Skispringern sind bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Der ehemalige österreichische Aktive und amtierende Sportdirektor Toni Innauer weiß das fantasiebeladene Musikschaffen seiner beiden Landsmänner durchaus zu schätzen, wie er im Nachrichtenmagazin Profil ausführte.

Weshalb sich ausgerechnet mit der Befindlichkeit von Skispringern befassen und woher die intimen Informationen über die Stars der Schanzen? Die beiden Wiener Künstler geben klar zu verstehen, dass das meiste frei erfunden ist und die Liedtexte eher Ausdruck ihrer eigenen desolaten Gefühlslage sind. Für Christoph & Lollo wäre es jedoch der reinste Gräuel, der Authentizität zuliebe die Skispringer persönlich singen zu hören. „Viele Sportler singen selber, das ist fürchterlich“, meint dazu Lollo. Man erinnert sich nur zu gut an Pernilla Wiberg, Hansi Hinterseer oder die zweifelhaften Gesangskünste eines Franz Beckenbauer.

NICK LÜTHI

Christoph & Lollo: „Schispringerlieder“, CD, Geco Tonwaren, H054, 1998„Mehr Schispringerlieder!“, Geco Tonwaren, H119, 2000