Die bösen Buben

Das gute Gewissen des Rock ist das schlechte Gewissen der Suburbs: Die beiden amerikanischen New-Metal-Bands Papa Roach und At The Drive-In sind auf Tour in Deutschland. Ihre Songs erzählen vom Zerfall der Kleinfamilie und anderen Massenmorden

Papa Roach ist die Band, die Kids hören, wenn Teddybären und Backstreet Boys keinen Trost mehr spenden

von GERRIT BARTELS

Es ist noch keine sieben Uhr abends, und das gut zweitausend Menschen fassende Haus Auensee im Westen von Leipzig ist schon gut gefüllt. Draußen am Einlass geht es ruhig und diszipliniert zu, ohne Geschrei und Gedrängel, keine Spur von gespannt-nervöser Stimmung. Kaum vorstellbar, dass hier heute Abend ein Konzert der amerikanischen New-Metal-Band Papa Roach stattfinden soll.

Ein paar Schritte vom Eingang entfernt steht ein älteres Ehepaar, in warme Jacken gehüllt, sie mit einer blauen Strickmütze auf dem Kopf, er mit einem Seemannskäppi, ohne eine Miene zu verziehen. Es steht da auch noch um acht Uhr, ganz ungerührt, um halb zehn, und auch als das Konzert um kurz nach elf zu Ende ist: Das Ehepaar sieht aus, als würde es hier Wache halten, damit im Inneren der Halle nichts passiert und seine Kinder nicht durch böse Rockbuben verführt werden. So, als würde es Papa Roach beweisen wollen, dass Leipzig nicht Amerika ist, dass hier die Welt der Kleinfamilie noch in Ordnung ist.

Denn genau das bestreiten Papa Roach mit ihrem Album „Infest“ und den beiden Songs, mit denen sie praktisch über Nacht berühmt geworden sind: Der eine heißt „Last Resort“, läuft in der Dauerrotation von MTV und handelt von einem jungen Drogenabhängigen mit Selbstmordfantasien, der erklärt: „It all started when I lost my mother, no love for myself and no love for another.“ Der andere beschreibt das Leben in einer zerrütteten Familie und heißt „Broken Home“. Das gute Gewissen von Rock, das schlechte Gewissen der Suburbs: Papa Roach ist die Band, die Kids hören, wenn Teddybären und Backstreet Boys keinen Trost mehr spenden können gegen den Teenage-Frust. Und sie transportieren das in einem Sound, der Amerika nach dem Ende von Grunge und Neo-Punk fest im Griff hat: Funk-Metal-Rap-Crossover, wie er früher genannt und von Bands wie Faith No More oder Red Hot Chili Peppers aus der Taufe gehoben wurde, oder eben New Metal, wie jetzt die Musik heißt von Bands wie Korn, Limp Bizkit, Slipknot oder Papa Roach.

Doch anders als eine Band wie Limp Bizkit, die das Böse und Kaputte bewusst inszeniert und auf die Spitze treibt („It’s a fucked up world, a fucked up life, fucked up dreams, it’s all fucked up“), sind Papa Roach ehrlich, down to earth, mit dem Herz am rechten Fleck: Vier Jungs, die sich seit der Highschool kennen, jahrelang erfolglos tourten und Platten herausbrachten, dann vom Steven Spielbergs und David Geffens Dreamworks-Label entdeckt wurden. Der amerikanische Traum und wie er sich erfüllt, wenn man seine Kehrseite besingt.

So was spricht, nimmt man das Publikum in Leipzig zum Maßstab, auch hierzulande vor allem Kids und Abiturienten an, eher Teens als Twens und kaum ältere Semester: Teencore statt Eastcore. Ein braves Publikum, das rhythmisch mit den Händen klatscht, als die vier von Papa Roach in ihren schwarzen Button-Down-Shirts und Dickies-Hosen die Bühne betreten.

Dass der Sound schlecht und dumpf ist, stört an diesem Abend keinen. Die meisten kennen die Songs auswendig, singen vor allem bei den Hits jede Zeile mit und freuen sich, wenn Sänger Coby Dick sich in die ersten Reihen stürzt und mit seinen Ansagen immer wieder seine Verbundenheit mit den Fans beschwört. Die Welt hier drinnen ist in Ordnung, ganz im Gegensatz zu draußen, wo die Eltern stehen und nicht verstehen, warum ihre Kinder sich mit Papa Roach fragen: „What is wrong with the world today, the Government, media, or your family?“

Einen Abend später, beim Berliner Konzert von At The Drive-In, zeigt sich ein anderes Bild: Vorm SO 36 in der Oranienstraße in Kreuzberg drängelt sich ein Publikum, das im Schnitt fünf bis zehn Jahre älter ist als das in Leipzig, das den Kapuzenpulli zu weiten Jeans und Turnschuhen trägt und sich zum Joint zusätzlich mit Beck’s aus Halbliterdosen in Stimmung bringt. At The Drive-In haben zwar schon von Rage Against The Machine über Korn bis zu Slipknot und nicht zuletzt Papa Roach ihren Respekt für Musik und Shows bekommen, und auch ihr Album „Relationship Of Command“ wurde von dem für New-Metal-Bands einschlägig verantwortlichen Rob Robinson produziert.

Doch ihre Songs sind um einiges verwegener, irrer und wirrer als die ihrer Kollegen: Rauf und runter geht es da wie bei einer Achterbahnfahrt, immer nach vorn mit einem Grummeln im Bauch und in der Seele; sie sind laut Sänger Cedric Bixler von ihrer Erzählstruktur her „wie Fellinis Satyricon“. Beyond real sozusagen, eine Reise ins Innere ganz vieler Ichs. Zu strange also, um auf MTV oder in einem Kinderzimmer laufen zu können: At The Drive-In werden hier wie auch in den Staaten zumeist in Punk- und Independent-Zusammenhängen rezipiert.

Auf der Bühne des SO 36 ragen aus der fünfköpfigen Band vor allem Sänger Cedric Bixler, der mit seinem Wuschelkopf aussieht, als trage er eine Perücke, und der ebenfalls einen Afro tragende Gitarrist Omar Rodriguez. Insbesondere Bixler lebt den Sound der Band, den der amerikanische Rolling Stone so richtig wie hilflos als „too punk to be metal, too art-rock to be punk, too pop to be art rock, too smart to be pop and too stoned to be smart“ beschrieben hat.

Er agiert ihn bis in die hinterste Ecke der kleinen Bühne aus, arbeitet mit dem Mikroständer, mit sich, seinem Körper, seiner leicht schrillen Stimme. Die Show ist die Botschaft, nicht der Inhalt der Songs, in denen es um Massenmörder und ihre Opfer geht, um eigenwillig-komische Menschen und ihren Alltag, um das Nichts und die Ewigkeit. At The Drive-In wissen, dass einfache Wahrheiten nicht immer zur größten Erkenntnis führen.

Manchmal verliert sich die Band auf der Bühne auf halber Strecke, scheint sich fast selbstverliebt in eine Raserei zu steigern, wird dann von Bixler aber immer wieder mit seinen hymnenhaften Refrains in die Spur zurückgebracht: Eine gewisse Ordnung muss eben sein. Da kann dann mitgesungen werden, aber am liebsten ist es den meisten im Publikum, wenn es bis zur Erschöpfung wieder ordentlich nach vorn geht.

Am Ende sind alle ausgelaugt, aber glücklich, und da wurden dann auch lange nach dem Konzert noch Leute mit Bierflaschen in der Hand auf der Oranienstraße gesichtet, die immer wieder einen Refrain von At The Drive-In herausbrüllten: „Cut away, cut away, send transmission from the one-armed scissor.“

Weitere Termine von Papa Roach: 19. 2. Köln, 20. 2. Hamburg, 21. 2. Berlin, 25. 2. München; At The Drive-In: 20. 2. Bremen, 24. 2. Frankfurt/Main