Bilaterales Beschnuppern

Seit Jahrzehnten donnert der Kalte Krieg auf allen Kanälen zwischen der Republik und der Volksrepublik China. Nun berichten zwei Festlandkorrespondenten aus Taiwan – und werden selbst Gegenstand der Berichterstattung

Fernseh-Live-Übertragungen von einer Flughafenankunft gibt es in Taipeh normalerweise nur für japanische Popstars. Doch diesmal galt die traditionell chaotische Blitzlichtbegrüßung zwei ziemlich gewöhnlichen Chinesen: Chen Binhua und Fan Liqing sind ihres Zeichen zwei junge ReporterInnen der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Beide wuchsen in der Taiwan benachbarten Küstenprovinz Fujian auf, studierten dort Chinesisch, bevor sie ihren heutigen Beruf ergriffen, und sagen von sich: „Wir werden uns an das Leben in Taiwan schnell gewöhnen.“ Wozu also der ganze Wirbel um zwei KollegInnen?

Chen und Fan – er und sie brave Ringelpulloverträger – sind die ersten Taiwankorrespondenten vom kommunistischen Festland. Im Gepäck den berüchtigten nordchinesischen Getreideschnaps (Marke „Erguotuo“), kommen sie nicht nur zum Anstoßen mit ihren taiwanesischen Brüdern – sondern auch, um die ersten ganz normalen Taiwan-Geschichten für volksrepublikanische Leser zu schreiben: Zum Beispiel einen Ausstellungsbericht. Die taiwanesischen Medien erfanden gleich ihre eigene Geschichte dazu: „Der erste Bericht von Fan Liqing nach der Ankunft auf Taiwan handelt von der Sonderausstellung von Soldaten der Terracotta-Armee“, berichtete die halbstaatliche taiwanesische Nachrichtenagentur Central News Agency. „Das zeigt, dass sich die Reporter eher leichten Themen zuwenden werden.“

Doch Chen und Fan geben zunächst einmal selbst das leichte Thema ab. Ob beim Zeitunglesen im feinen Dynasty Hotel in Taipeh oder bei der einfachen Zwischenmahlzeit an der Nudelsuppenbar – ein Heer von taiwanesischen Journalisten begleitet die bislang noch freundlich lächelnden KollegInnen bei ihren ersten Alltagserfahrungen im zweiten, fremden China. Auf beiden Seiten der taiwanesischen Straße gibt es einen unersättlichen Durst nach innerchinesischer Menschelei. Vom kalten Krieg auf allen Kanälen sind Leser und Hörer inzwischen schlicht gelangweilt – am politischen Patt zwischen Festland und Insel hat sich nichts geändert. Nur der innerchinesische Alltag ändert sich ständig. Schon haben taiwanesische Unternehmer 40 Milliarden Dollar auf dem Festland investiert. Schon wohnen 30.000 Taiwanesen in Schanghai. Die Medien aber können mit der Entwicklung nur mühsam Schritt halten.

Taiwan erlaubte die Einreise von Reportern aus der Volksrepublik bisher nur mit offiziellen Delegationen oder im Zusammenhang mit einzelnen Großereignissen. Auch dann war der Aufenthalt der Journalisten auf wenige Tage begrenzt. Chen und Fan sind nun die ersten, die sich einen ganzen Monat lang auf der Insel aufhalten und sich in der Hauptstadt Taipeh frei bewegen dürfen. Ihrer Anwesenheit wird zudem besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie als Test für die Installierung fester Korrespondenten gilt.

Umgekehrt müssen auch taiwanesische Journalisten auf dem Festland unter größeren Beschränkungen leiden als ihre ausländischen Kollegen. Ihr Aufenthalt wird ebenfalls begrenzt – allerdings umgehen taiwanesische Medien diese Regelung, indem sie ihre Mitarbeiter in der Volksrepublik in kurzen Abständen austauschen. Trotz dieser objektiven Hindernisse wäre es jedoch verfehlt, den Medien auf beiden Seiten der taiwanesischen Straße eine jeweils doktrinäre Enge in der Berichterstattung über die Gegenseite vorzuwerfen. Selbst in den zensierten Medien der Volksrepublik hat man längst ein Faible für taiwanesischen Lifestyle entwickelt und verfolgt die dortige Popszene mit akribischer Genauigkeit. Umgekehrt verfolgen taiwanesische Medien die Mode-Trends in Schanghai längst wie die eigenen: Es gibt oft keinen großen Unterschied mehr.

Der neue Taiwan-Korrespondent Chen aber hat sich vorgenommen, auch unbegangenes Territorium zu betreten: „Ich wünsche mir vor allem, die Oppositionsparteien in Taiwan kennen zu lernen“, sagte Chen vor seiner Abfahrt. Zwar mag er damit die inzwischen zur Opposition degradierte ehemalige Regierungspartei Kuomintang meinen. Aber immerhin: Eine Berichterstattung über eine Opposition wäre im Einparteienstaat China mehr als ungewöhnlich.

GEORG BLUME