China sieht sich umstellt

Die Machthaber in Peking fordern von der Bundesregierung, dass sie in der Frage des geplanten US-Raketenabwehrsystems eine Mittlerrolle einnimmt

aus Peking GEORG BLUME

Im Vergleich zu der schwarzen Sonnenbrille von General Zhang Wannian wirkt Rudolf Scharpings rote Designerbrille locker und transparent. Der Szene vor dem Sitz der chinesischen Militärkommission in Peking tut das gut: Zum ersten Mal überhaupt schreitet ein Bundesverteidigungsminister an diesem Sonntag die Ehrengarde der Volksarmee ab. Dabei sollte er möglichst zivil wirken.

Nicht einmal ein Verteidigungsminister der DDR war je in Peking zu Gast. Nun also der Sozialdemokrat Scharping: Für die Chinesen kommt er wie gerufen. Nicht nur, dass General Zhang, der ranghöchste Militär der Volksrepublik, seinem Protest gegen die US-amerikanisch-britischen Luftangriffe auf den Irak gleich zu Beginn des Besuchs Luft machen konnte. Zhang trifft Scharping in einer Phase, in der sich China nach neuen Verbündeten umschaut.

Mit dem Machtwechsel in Washington und der Ankündigung der USA, sich um nichts in der Welt von den eigenen Plänen für ein neues Raketenabwehrsystem abbringen zu lassen, hat für Peking ein neuer globaler Rüstungswettlauf begonnen – oder zumindest eine neue Phase militärischer Propaganda. Für beide Fälle aber sucht China Unterstützung in Europa.

Die Offerten sind für Scharping nicht nur peinlich. Schließlich geht es ihm darum, „Kontakt zu einer der wichtigsten Mächte zu halten“ und „den sicherheitspolitischen Dialog aufzunehmen“. Vorbei sind die Zeiten, wo militärische Konsultationen in Peking nichts als politischen Ärger zu Hause bescherten. Noch 1995, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl als erster westlicher Regierungschef seit dem Tiananmen-Massaker Truppen der Volksarmee besuchte, war die deutsche Öffentlichkeit erzürnt.

Kohls Geste erschien schlicht unnötig. Doch inzwischen hat sich die internationale Sicherheitsdiskussion gewandelt. Ob im UNO-Sicherheitsrat während der Kosovo-Krise oder bei der aufflammenden Debatte um Raketenabwehrsysteme: Stets ist China mit von der Partie. Früher ließen sich Rüstungsdebatten noch im europäischen Kontext führen. Was zählte, war der Verhandlungsstand zwischen Washington und Moskau. Nun ist Peking von Anbeginn beteiligt. Schon wird mit Gegenmaßnahmen gedroht, falls die USA mit ihren Plänen für eine nationale Raketenabwehr (National Missile Defense, NMD) oder ihre regional begrenzte Version (Theater Missile Defense, TMD) Ernst machen (siehe Interview).

Peking fühlt sich in der NMD/TMD-Debatte direkter betroffen als andere: weil China selbst nur über wenige Atomwaffen verfügt, deren Abschreckungspotenzial sich leicht neutralisieren ließe. Und weil TMD die militärische Lage an der Taiwanstraße von Grund auf verändern könnte, indem es die chinesische Invasionsdrohung für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans wirkungslos machen würde. So sieht sich China umstellt, und Sha Zukang, Chinas Abrüstungsbeauftragter, schaut nach Europa: „Chinesen und Europäer hegen ähnliche, wenn nicht identische Bedenken gegenüber NMD. Und dem liegen gemeinsame Interessen zugrunde“, tönt es Scharping entgegen. Zwar hat sein Kabinettskollege Fischer kürzlich in Moskau jede deutsche Vermittlungsrolle in Sachen NMD ausgeschlossen. Doch die Anfragen werden immer drängender. Scharping wird dies während seines mehrtägigen Besuchs in China zweifellos zu spüren bekommen.