Schiffbruch im Gelobten Land

Schlepper haben einen rostigen Kahn mit 1.000 KurdInnen aus Nordirak vor der Côte d’Azur auf Grund gesetzt. Den Flüchtlingen droht Abschiebung

aus Paris DOROTHEA HAHN

Der Kapitän verließ das gestrandete Schiff als erster. An Bord der rostigen „East Sea“, die er bei ruhiger See auf ein paar Felsen vor der Côte d'Azur gesetzt hatte, ließ er rund 1.000 hilflose Menschen zurück: KurdInnen auf der Flucht. Die Maschine des Seelenverkäufers lief weiter: Das Schiff sollte nicht abtreiben.

Anwohner des zwischen Saint Tropez und Cannes gelegenen Küstenortes Boulouris erfuhren als erste Franzosen von dem Drama. Gegen drei Uhr morgens in der Nacht zu Samstag schellte es bei ihnen. Vor dem Haus standen rund 30 Menschen die „Help!“ und „United Nations“ riefen. Die Rettungsmannschaften brauchten bis Samstagmittag, um die verbliebenen 908 Menschen von Bord der „East Sea“ zu befreien – darunter 480 Kinder und drei Neugeborene, die auf hoher See zur Welt gekommen waren. Anschließend versuchten sie, das Frachtschiff in einen französischen Hafen zu schleppen. Vor Cannes versank die 1966 gebaute und unter kambodschanischer Flagge fahrende „East Sea“ ins Mittelmeer.

Das Schiff hatte seine letzte Reise mindestens vier, möglicherweise auch schon acht Tage zuvor im östlichen Mittelmeer begonnen. Nach widersprüchlichen Informationen hatte es zuletzt entweder einen griechischen oder einen türkischen Hafen angesteuert. Die KurdInnen an Bord, die alle keine Ausweispapiere bei sich hatten, erklärten gegenüber den französischen Behörden, sie stammten aus der nordirakischen Region Mossul. Für die Überfahrt haben sie 2.000 Dollar pro Person und mehr bezahlt. Viele von ihnen verbrachten die Überfahrt stehend und dicht gedrängt in den Lagerräumen unter dem Deck. Die hygienische Lage an Bord war katastrophal. Es mangelte an Lebensmitteln. Mehrere Personenen mussten medizinisch versorgt werden, weil sie in den Vortagen nichts mehr zu trinken bekommen hatten.

Die Besatzung der „East Sea“ trug von Anfang an Gesichtsmasken. Nach dem Eindruck mehrerer KurdInnen waren die Matrosen Türken. Den Kontakt mit ihren PassagierInnen an Bord beschränkten sie auf einige wenige Befehle: „Sitz, iss, schweig!“ Gestern fanden die französischen Behörden in der Nähe von Boulouris ein teilweise zerstörtes Beischiff mit griechischer Beschriftung, das möglicherweise der Kapitän und die Besatzung zur Flucht benutzt haben. Bis Redaktionsschluss fehlte jede Spur von ihnen. Allerdings verlautete aus Polizeiquellen, ihre Identität sei den Ermittlern inzwischen bekannt. Zahlreiche junge Männer flüchteten ihrerseits vor Ankunft der französischen Rettungstruppen von Bord und verschwanden.

Für Frankreich brachte die „East Sea“ die erste große Ladung „Boat People“. In den südfranzösischen Nachbarorten Saint Raphael und Frejus löste ihre Ankunft spontane Hilfsbereitschaft aus. Zahlreiche AnwohnerInnen lieferten Kleidung und Spielzeug für die KurdInnen ab, die von HelferInnen des Roten Kreuzes versorgt wurden.

Gestern begannen die MitarbeiterInnen der französischen Flüchtlingsorganisation Ofpra Einzelgespräche mit den KurdInnen. Alle wollen Asyl beantragen. Große Erfolgsaussichten haben sie damit nicht: In den vergangenen Jahren beschied Frankreich 92 Prozent aller kurdischen Asylanträge mit einem klaren „Non“.

Bei dieser Linie soll es bleiben. Zahlreiche Politiker rechts und links der Mitte warnten gestern bereits davor, andere KurdInnen zu ähnlichen Verzweiflungsakten zu ermuntern. Der Chef der regierenden sozialistischen Partei, François Hollande, erklärte: „Wir dürfen nicht die Illusion und Hoffnung einer Integration in unser Land wecken.“

Die ebenfalls sozialistische Ministerin für Solidarität, Elisabeth Guigou, die am Samstag einen Besuch in der Kaserne abstattete, beschrieb die französischen Prioritäten gegenüber den 908 KurdInnen so: „Gesundheit, Hygiene und anschließend die strikte Anwendung unserer Gesetze.“