Schöner lügen mit Statistik

Angeblich kommt Italiens Oppositionsführer selbst bei seinen eigenen Sendern nicht mehr zum Zuge. Eine Untersuchung beweist nun das Gegenteil und stürzt Berlusconi in arge Argumentationsnöte

Bei „Qualität“ denkt Berlusconi mitnichtenan die Berichterstattungseiner eigenen Sender

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Dieses Gesindel versucht, die Menschen übers Ohr zu hauen.“ – Silvio Berlusconi gefällt sich dieser Tage mal wieder in der Pose des Verfolgten, der sich gegen fanatische Finsterlinge zur Wehr setzen muss. Das kennen die Italiener zur Genüge: Immer wieder begab sich der rechte Oppositionsführer und Medienmagnat geifernd in die Opferrolle, kaum dass ihm „rote“ Staatsanwälte mit Ermittlungsverfahren wegen Bilanzfälschung zusetzten, kaum dass die „stalinistische“ Regierungsmehrheit den schüchternen Versuch unternahm, seine Medienmacht auch nur anzukratzen.

Insofern war Berlusconis neuester Wutausbruch Business as usual. Und doch erlebte Italien eine Premiere, denn diesmal galt der Bannstrahl nicht ungenehmen Strafbefehlen, diesmal erhitzte sich der Boss von Forza Italia über nüchterne Statistiken. Denn Roberto Zaccaria, Vorsitzender des Verwaltungsrates der staatlichen TV-Gesellschaft RAI, hatte es gewagt, die Presse über die Bildschirmpräsenz der wichtigsten italienischen Politiker zu informieren – und damit einen wunden Punkt des Herrn Berlusconi anzurühren.

Der nämlich schimpft Tag um Tag, er werde gnadenlos benachteiligt im staatlichen Fernsehprogramm, und selbst in seiner eigenen Mediaset habe er schier nichts mehr zu sagen; sogar dort, auf seinen eigenen drei TV-Kanälen, komme er nicht recht zum Zuge. Im jetzt anlaufenden Wahlkampf sei er deshalb gnadenlos benachteiligt. Dass er seit nun schon sechs Monaten Italiens Städte mit Großplakaten seiner selbst zukleistern lässt, sei also reine Notwehr gegen das über ihn verhängte Medien-Blackout.

Die jetzt vorliegenden Zahlenkolonnen über das Jahr 2000, erstellt von den Medienforschern der Universität Pavia, zeichnen ein anderes Bild. Schon in der staatlichen RAI liegen Ministerpräsident Giuliano Amato und Oppositionsführer Berlusconi mit je gut 800 Minuten Bildschirm-Präsenz praktisch gleichauf. Radikal verschieben sich dagegen die Gewichte bei Berlusconis eigenen Sendern, die mit Einschaltquoten von 40 Prozent nur knapp hinter der RAI liegen. Wer Canale 5, Rete 4 oder Italia 1 guckt, muss fast glauben, er lebe in einer Monarchie: Kaum widmen sich die Sendungen der Politik, gibt’s das immer gleiche Gesicht zu sehen. Auf stolze 2.500 (über 40 Stunden) Bildschirmminuten kam Berlusconi hier im letzten Jahr – mehr als alle seine Konkurrenten zusammen. Regierungschef Amato wurde mit aufs Jahr gerechnet 100 Minuten abgespeist, nicht viel besser kam sein Amtsvorgänger Massimo D’Alema weg: Ihm als Zweitplatziertem war mit 250 Minuten nur ein Zehntel der Berlusconi reservierten Sendezeit gegönnt.

Eigentlich ist von diesen Daten niemand wirklich überrascht. Ob im Morgenmagazin „Der grüne Apfel“ auf Rete 4, ob in den Nachrichten, ob spät abends beim Quotenrenner „Maurizio Costanzo Show“ auf Canale 5: Laufend ist ein fröhlicher Berlusconi auf dem Schirm. Nur sagen darf man’s nicht, dann nämlich vergeht dem Allgegenwärtigen die gute Laune.

Denn nicht die Quantität der puren Sendezeit zähle, belehrt Berlusconi jetzt nach dem Motto „die Zahlen lügen“ das Volk, sondern die Qualität. Bei „Qualität“ dachte er aber mitnichten an die Berichterstattung seiner eigenen Sender. Denn da findet es der Partei- und Senderchef völlig in Ordnung, wenn zum Bespiel der Anchorman von Rete 4 mit dem passenden Namen Emilio Fede (deutsch: Emil Treu) seinen Boss mit servilen Lobhudeleien im Nordkorea-Stil abfeiert. Nein, „Qualität“ der Sendezeit steht für anderes: für die Einschaltquote. Die Nachrichten von RAI erreichten immerhin neun Millionen Zuschauer – die News von Rete 4 dagegen nur 900.000. Das könne man doch einfach nicht vergleichen, erregt sich Berlusconi, und vergisst prompt hinzuzufügen, dass die ihm nicht eben feindlich gesinnten Nachrichten vom ebenfalls Mediaset-eigenen Canale 5 täglich sechs Millionen Zuschauer haben.

Doch Berlusconis Argumentieren gegen die unschöne Welt der Zahlen und Fakten kommt nicht von ungefähr. Wenn der politisierende Medienzar aus seinen TV-Anstalten keinen Vorteil zieht, dann beschert ihm seine ungewöhnliche Doppelrolle auch keinen Interessenkonflikt. Denn schließlich traktiert die Mitte-links-Regierung den Oppositionschef nicht nur mit Statistiken, sondern auch mit Gesetzesvorhaben, wonach Berlusconi im Falle eines Wahlsiegs im Mai die Kontrolle über seine Sender abtreten müsste. Zwar hätte er dann ungehinderten Zugriff auf die staatliche RAI, aber warum deshalb auf die Mediaset und damit aufs absolute Meinungsmonopol im endlich vom „Regime der Linken“ befreiten Italien verzichten?