Unfreundliches Feuer

Identitätärä bumm bumm: In seinem Buch „Der große Roman“ lässt der Undergroundliterat Jörg Burkhard niemand ungeschoren davonkommen

von FLORIAN VETSCH

„Es riecht nach faulem weihrauch fisch benzol kaiser-kanzler- krupp & natowetter deutschlandeutschland überall / in der welt sowie im all ideales luftschlagwetter balkanwetter kaukasuswetter – in afrika ist immer gutes wetter. schönwetterwetter schönwetterluftschläge schönwetterverbände schönwettervergeltung schönwetterendsiege blitz-aus-heiterem-himmel schönwettermassaker schönwetterpogrom WIR LIEBEN DEN KRIEG wir WETTEN DASS der krieg bloß die fortsetzung des friedens mit anderen mitteln ist.“

Jörg Burkhard schreibe keine Sätze, in denen man sich wohlfühlen könne, sagte Hans Thill 1993 zutreffend im Heft 45 des Magazins Flugasche, das diesem Undergroundliteraten gewidmet war. Jörg Burkhard ist 1943 in Dresden geboren, lebt aber seit 1945 in Westdeutschland, heute in „highdelberg“. Dort leitete er von 1968 bis 1980 die Buchhandlung „Fahrenheit 451 poesie + politik“, die unter anderen Charles Bukowski und Allen Ginsberg besuchten. In dieser Zeit veröffentlichte Burkhard erste Gedichtbände, darunter „In Gaugins alten Basketballschuhen“ und „Julifieber“. Doch Gedichte in der Form der traditionellen Lyrik mochte er nicht länger schreiben.

Seit 1980 produziert er GELD, nach seiner Definition: „general electric language districts im elektroakustischen selbstverlag live nichts Bleibendes schaffen.“ Im Unterschied zu manchen seiner bekannteren Kollegen aus der Protestliteratur der Sechzigerjahre legte es Burkhard nie darauf an, früher oder später „quasselquartettkompatibel“ (Junge Welt) zu schreiben.

Das bewiesen „Live in Zombombie“, „Volumes of Friendly Fire“ und „Kevin Limbos größter Fall“, seine Publikationen aus den Neunzigerjahren im Peter Engstler Verlag, und das zeigt auch sein jüngstes, ebenda erschienenes Buch „Der große Roman“.

„Roman“, da beginnt schon der Sprachwitz, meint kein Prosawerk, sondern den Protagonisten Roman Meggle, der als „kollumnist bei der VOLLBECLOPPTENBURGER“ arbeitet, gegen die 100-Kilo-Körpergewichtsgrenze ankämpft und sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt.

Doch Burkhard liegt es fern, die Vorstellungswelt der LeserInnen auf einen linearen oder anderswie durchkomponierten Handlungsverlauf zu trimmen. Die 41 Kapitel seines Antiromans wuchern in alle möglichen Richtungen.

Auch im Ideologischen. Denn so hart Burkhard mit der Deutschland- beziehungsweise der Natopolitik ins Gericht geht, so hart fährt er auch den Achtundsechzigern an den Karren: „diese linke szenerie damals war doch ein unglaublich ignoranter gehässiger moralisierender kleinkarierter eloquenter besserwisserhaufen.“ Das politisch Inkorrekte ist für diesen Spracharbeiter eine Spielwiese, auf der er sich nicht scheut, Fettnäpfe auszuweiden, Breitseiten anzubieten und bis ins Grobianische vorzustoßen. „Tote Fische schwimmen mit dem Strom“, lautet eine geradezu programmatische Kapitelüberschrift.

Doch es geht nicht nur um die Demontage von Leitbildern aus dem Mainstream, sondern auch um die Aggression gegen die Ikonen des Bildungsbürgertums und seiner akademischen Ableger.

Die Begegnung zwischen Martin Heidegger und Paul Celan – die Texte, die sie bezeugen, gehören zu den inzwischen standardisierten Hochseilakten eines jeden germanistischen Seminars – unterwirft Burkhard seinem typisch subversiven Umgang mit sanktionierten Größen der Literatur- und Geistesgeschichte.

Schärfer noch verfährt er mit Ernst Jünger, für den Roman Meggle praktisch nichts mehr übrig hat: „roman erhob sich aus sessel & pisste ins bücherregal –das macht er jedn tach – wie 1 hund – immer an die gleiche stelle – ernst jünger? – genau!“

Größen, die zur Verklärung, aber auch zur Identifikation verleiten, provozieren Burkhard. Das Identitätsdenken ist sein liebstes Ziel: „identitätärä bumm bumm.“ Deshalb wird kein Leser, keine Leserin des „Großen Romans“ ungeschoren davonkommen.

Doch Burkhards Hauptattacke gilt der deutschen Sprache – als schändete er mit ihrem Leib die ganze schwere Geschichte Deutschlands. So, wenn er durch Einblendungen geschichtliche Epochen in oft verstörender Weise zusammendenkt; etwa in dem Einsprengsel „freude schöner goebbelsfunken“ Schillers Versöhnungshymne mit der Nazipropaganda kurzschließt.

Oder wenn er durch Verletzungen des orthografischen Regelwerks, Verballhornungen und semantische Unterminierungen an der Sprache selbst operiert: „m1 kabriomesser“ gibt seiner Wut auf die Planierung der Natur für die Protzmaschinen des Verkehrs Ausdruck, „börsiacken“ martialisiert die Börsenmakler oder „kristdemokroaten“ zeigt im formal manipulierten Begriff dessen inhaltliche Grenzen auf.

Burkhards Collagen vermitteln zudem einen Einblick in den Think-Tank dieses Antiautors; wie wenn man einen Blick auf den Arbeitstisch eines Künstlers wirft. Die sprachschöpferische Radikalität von Jörg Burkhard aber steht auf weiter Flur allein da.

Wir können ihm, selbst wenn die Magengrube mitunter schmerzt, dafür dankbar sein, dass er auch unsere festgefahrenen Denkbahnen immer wieder von ganz unten zu sprengen weiß.

Jörg Burkhard: „Der große Roman“. Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2000. 110 Seiten, 20 DM