Mit Coups ist zu rechnen

Schriften zu Zeitschriften: Das Literaturmagazin „Edit“ musste finanzielle Purzelbäume schlagen, um die neue Ausgabe herauszubringen. Man erfährt, was ein Wintergrillen ist

Rein kalendarisch gesehen haben wir durchaus noch Winter. Dennoch ist man geneigt, sich ein wenig zu wundern, wenn einem von einer dreimal jährlich erscheinenden Zeitschrift in diesen Tagen die Winterausgabe 2000/2001 präsentiert wird; man ist, nicht wahr, dann doch eher schon aufs Frühjahr eingestellt, rein biologisch und literarisch sowieso.

Von der Literaturzeitschrift Edit liegt nun also die Winterausgabe vor. Dazu gibt es eine Pressemitteilung. „Wir brauchten die Zeit“, schreiben darin die Redakteure Tom Kraushaar und Miriam Bosse, „um die schwierige finanzielle Situation der Edit zu Beginn des letzten Jahres durch ein paar finanzielle und organisatorische Purzelbäume zu stabilisieren.“ Es gab also Geldprobleme. Willkommen im Klub! Neben literarischer Neugier, einer kleinen Auflage und einem gesunden Sendungsbewusstsein gehört schließlich eine anständige finanzielle Misere zur Standardausstattung beinahe jeder deutschen Literaturzeitschrift. Scheint so, dass die Edit sich auch in dieser Hinsicht etabliert hat. Immerhin: Im weiteren Verlauf ihrer Pressemitteilung versichert die Redaktion, dass der „Bestand der Edit erst mal gesichert ist“.

Man darf hinzufügen, das eigenständige Profil der Zeitschrift ist es auch, wie die neue Ausgabe zeigt. Sie durchzieht etwa ein hochmerkwürdiges Bildtextprojekt von Lucy Harvey. Die in Düsseldorf lebende Künstlerin träumt sich in die Vorstellung hinein, wie es wäre, einmal auf der wilden Inselkette der Äußeren Hebriden Lebens- und Arbeitszeit zu verbringen. Das Ganze hat einen realen Hintergrund: Beim Scottish Arts Council können sich Künstler um ein Aufenthaltsstipendium in Schottland bewerben. Aufenthaltsdauer: drei Jahre. Monatliche Unterstützung: 500 Pfund. Mit Verweis auf ihr Kunstprojekt „Lebensführer“ hat Lucy Harvey eine Bewerbung abgeschickt. Als Teil des Projekts hat sie sich vorgenommen, so ein in Edit abgedruckter Begleitbrief, „alle Hauptwerke der Philosophie zu lesen“. Vor allem aber hat sie schon mal das Häuschen entworfen, in dem sie der Lektüre nachkommen will. Auf Seite 58 kann man es sich ansehen.

So eine fröhliche Grenzgängerei zwischen konkretem Lebensentwurf, Malerei und Literatur wird man nicht so leicht in einer anderen deutschen Literaturzeitschrift finden. Auch sonst ist in Edit immer mal mit dem Impuls zu rechnen, in der Literaturszene kleine, überraschende Coups zu landen. Mit dem Slogan „Die Entdeckerzeitschrift“ preist sie sich in einer Eigenwerbung an. Tatsächlich liest sich die Liste der hier publizierenden Autoren wie ein Who’s who derjenigen Schriftsteller, die neulich mit Debüts Aufmerksamkeit erregten: Maike Wetzel, David Wagner, Leander Scholz, Jenny Erpenbeck, Jochen Schmidt und viele andere sind darunter.

Dem Weg eines Manuskripts von der Computerfestplatte eines angehenden Schriftstellers in die Lektorate eines Buchverlags scheint eine Publikation in der Edit zumindest nicht im Wege zu stehen. Der Standort Leipzig erweist sich dabei als Vorteil. Verlage gibt es hier zwar nicht so viele. Aber angehende Schriftsteller. Mit dem hier angesiedelten Literaturinstitut, dieser in Deutschland einzigartigen Ausbildungsstätte für Erzähler, ist die Zeitschrift personell verwoben. Wer also immer schon mal wissen wollte, woher all die Namen kommen, die vor drei Jahren noch niemand kannte, nun aber die Literaturbeilagen füllen, der sollte schon mal einen Blick in die Edit werfen.

Und was für Entdeckungen sind also in der aktuellen Ausgabe zu machen? Es gibt eine Momentaufnahme aus dem Alltag in der Manier Ingo Schulzes. In dieser Erzählung erfährt man über die Figuren nur en passent etwas, aber ganz direkt erfährt man, was ein Wintergrillen ist. Daneben gibt es eine etwas bedeutungsschwer daherkommende Episode vom Landleben, die mit der Tötung eines Kitzleins beginnt und – vielleicht – mit dem Tod der Erzählerin endet. Es gibt einen (Mai 2000 in der taz erstabgedruckten) ironischen Essay des Schriftstellers Hans-Ulrich Treichel, der im Brotberuf das Leipziger Literaturinstitut leitet. Es gibt eine Kurzgeschichte von Katrin Dorn. Und der eigenwilligste Text der Ausgabe handelt von einem Menschen, der, obdachlos geworden, die Kunst entdeckt: allein schon deshalb, weil man in Kunsthallen sehr gut die Zeit totschlagen kann. DIRK KNIPPHALS

„Edit – Papier für neue Texte“.Nummer 24, 66 Seiten, 9 DM